Sechzig Jahre nach Kriegsende stellen Raub und Restitution jüdischer Kunst- und Kulturgüter während der Zeit des Nationalsozialismus nach wie vor brisante Themen dar. Die Zahl der offenen Fragen und ungeklärten Fälle ist groß, die Meinungen sind kontrovers. Mit der Ausstellung »Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute« zeichnet jetzt das Jüdische Museum Berlin (JMB) die historischen Abläufe, Zusammenhänge und Folgen dieses europaweiten Raubzuges der Nationalsozialisten und der nachfolgenden Rückgabe der Beutekunst nach.
Britische Soldaten entdeckten im Kloster Tanzenberg/Kärnten im Mai 1945 ein Lager mit geraubten Büchern. (1) |
Mit seiner historisch-dokumentarischen Ausstellung will das Jüdische Museum verdeutlichen, warum so viele Restitutionsfragen weiterhin ungeklärt sind. Damit soll auch zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen werden, nachdem einzelne spektakuläre Fälle der letzten Jahre – wie die Beschlagnahmung zweier Gemälde von Egon Schiele in New York, die Rückgabe und Versteigerung der »Goldenen Adele« von Gustav Klimt und der Fall des Gemäldes »Berliner Straßenszene« von Ernst Ludwig Kirchner – von sehr kontroversen Debatten begleitet wurden.
Exemplarische Irrfahrten
Im Mittelpunkt stehen der Weg einzelner Kulturgüter, die während der NS-Zeit ihren jüdischen Besitzern entzogen wurden – von Gemälden und Bibliotheken über Porzellane bis hin zu Silberarbeiten und Privatfotografien – und die Schicksale ihrer Eigentümer. Dazu werden fünfzehn exemplarische Fälle dokumentiert, die die geographische Ausdehnung der Raubzüge, die Vielfalt des geraubten Materials und die historische sowie juristische Komplexität des Themas verdeutlichen. Neben bekannten Namen wie der Familie Rothschild oder dem Kunsthändler Jacques Goudstikker werden hierbei auch in Vergessenheit geratene Sammlungen wie die Judaica-Sammlung von Sigmund Nauheim oder die Sammlung historischer Musikinstrumente der Pianistin Wanda Landowska vorgestellt.
Reklame der Fluggesellschaft Pan American für Restitutions- reisen in die BRD, 1955 |
Eine Fallgeschichte geht beispielsweise dem Verbleib der wertvollen Porzellan- und Büchersammlungen der Dresdner Familie von Klemperer nach. Sie wurden 1938 von der Gestapo beschlagnahmt und in die Staatlichen Kunstsammlungen Dresdens und die Sächsische Landesbibliothek gebracht. Da die DDR eine Restitution des von den Nationalsozialisten enteigneten Eigentums verweigerte, wurden die Ansprüche der Familie erst nach dem Fall der Mauer anerkannt. Während die in Sachsen befindlichen Teile der Sammlungen rückerstattet wurden, blieben die Verhandlungen über die in der Russischen Staatsbibliothek in Moskau verwahrte Inkunabelsammlung bislang erfolglos.
Restitution in Wellen: Fair und gerecht?
In einem zweiten Ausstellungsteil zeichnet das Jüdische Museum die verschiedenen Wellen der Restitution nach. So erließ 1947 die amerikanische Militärregierung das erste Restitutionsgesetz in Deutschland; 1948 wurden für erbenloses Vermögen aus jüdischem Besitz jüdische Organisationen wie die Jewish Restitution Successor Organization (JRSO) als Erben anerkannt. In der Bundesrepublik konnten das Bundesentschädigungs- und das Bundesrückerstattungsgesetz nur gegen massive politische Widerstände und auf alliierten Druck hin durchgesetzt werden. Doch die Restitution blieb unvollständig.
Erst mit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung rückten weiterhin offene Restitutions- und Entschädigungsfragen abermals in das öffentliche Bewusstsein: Schweizer Bankkonten, Versicherungen, Zwangsarbeit und auch Kunstwerke. Im Dezember 1998 wurden die »Washingtoner Grundsätze« auf der »Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust« verabschiedet. Darin verpflichteten alle Unterzeichnerstaaten – unter ihnen auch die BRD – ihre Museen zur Provenienzforschung bei Kunstwerken und zum „fairen und gerechten“ Ausgleich mit den Erben der früheren jüdischen Eigentümer, wenn Kulturgüter von NS-Behörden beschlagnahmt worden waren. Diese Verpflichtung machte es möglich, dass zahlreiche ungeklärte Fälle ungeachtet bisheriger Verjährungs- und Ausschlussfristen erstmals oder erneut aufgerollt werden konnten.
Da der Kunst- und Kulturgutraub Teil der antisemitischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik ab 1933 war, beleuchtet die Ausstellung auch die unterschiedlichen Phasen und die Radikalisierung dieser Politik. Zudem werden wichtige Akteure und Profiteure des Raubes vorgestellt, darunter unter anderem NS-Organisationen wie der »Sonderauftrag Linz« oder der »Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg«.
»Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute«, zu sehen im Jüdischen Museum Berlin vom 19. September 2008 bis zum 25. Januar 2009. Anschließend wird die Ausstellung vom 22. April bis 2. August 2009 im Jüdischen Museum Frankfurt/Main zu sehen sein.
Zur Ausstellung ist ein Begleitbuch erhältlich: »Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute«, herausgegeben von Inka Bertz und Michael Dorrmann, Göttingen (2008), gebunden, 320 Seiten, 24,90 Euro.
Mehr Informationen zum Thema:
Raub und Restitution (Ausstellungsseite des Jüdischen Museums)
Jüdisches Museum zeigt NS-Raubkunst (Kuratorin Inka Bertz im Deutschlandradio-Interview)
„Besser zu spät als nie.“ (JMB-Vizedirektorin Cilly Kugelmann ebenfalls im Deutschlandradio-Interview)
Gestohlene Kunst ist schwieriges Erbe (taz.de)
Raubkunst: Die reiche Beute der Deutschen aus der Nazizeit (WELT Online)
Jüdisches Museum: Ausstellung zeigt NS-Raubkunst (ZEIT Online)
Quelle: Jüdisches Museum Berlin
Bilder: Jüdisches Museum Berlin / (1) Österreichische Nationalbibliothek
(ENDE) geschichtspuls/01.10.2008/mar