200. Geburtstag von Hermann Schulze-Delitzsch

By | 28. August 2008

Hermann Schulze-Delitzsch ist – neben Friedrich Wilhelm Raiffeisen – als einer der „Gründerväter“ des deutschen Genossenschaftswesens in die Geschichte eingegangen. Er hat er die Genossenschaften als eigene Gesellschaftsform in der Wirtschaft etabliert und ihre Stellung mit einem Genossenschaftsgesetz, das im Wesentlichen bis heute Bestand hat, rechtlich abgesichert. Zudem hat er für die Kreditgenossenschaften den Begriff „Volksbank“ geprägt. Doch sein Wirken beschränkte sich nicht allein auf den genossenschaftlichen Bereich. Als führender liberaler Politiker gehörte er zu den Gründern des Deutschen Nationalvereins 1859 und der deutschen Fortschrittspartei 1861.
Hermann Schulze-Delitzsch Vom Richter zum Abgeordneten
Am 29. August 1808 wurde Franz Hermann Schulze als ältestes von zehn Kindern des Patrimonialrichters, Bürgermeisters und späteren Justizrates August Wilhelm Schulze im kursächsischen Delitzsch geboren. Nach Abschluss der traditionsreichen Leipziger Nikolaischule nahm er, der Familientradition folgend, das Jura-Studium auf; zuerst in Leipzig, dann in Halle und Naumburg. Im Herbst 1840 kehrte er zurück nach Delitzsch. Dort übernahm er die Patrimonialstelle des Justiziars Hildebrandt, die er bis Anfang 1849 ausüben sollte. Das Amt ließ ihm Zeit zum Reisen, die Schulze unter anderem nach Salzburg, Tirol, Schweden und Norwegen sowie nach Italien auf den Ätna führten. Zudem gründete er 1846 einen Gesangsverein und war im Delitzscher Turnverein aktiv. In den Hungerjahren 1846/47 organisierte er ein Hilfskomitee zum Ankauf von Getreide und der kostenlosen Abgabe von Brot an Bedürftige. Diese Initiative trug sicherlich dazu bei, dass Schulze am 1. Mai 1848 zum Abgeordneten des Wahlkreises Delitzsch in die Preußische Nationalversammlung gewählt wurde.
Mit seiner demokratischen Gesinnung war Schulze – der sich zur besseren Unterscheidung von Abgeordneten gleichen Namens inzwischen Hermann Schulze-Delitzsch nannte – für die königliche Regierung oftmals ein unbequemer Redner. So sprach er sich beispielsweise während der Beratungen zu einem Verfassungsentwurf im Oktober 1848 dafür aus, das Gottesgnadentum der Monarchie aus der Präambel zu streichen. Zudem machte er sich für die nationale Einigung Deutschlands unter preußischer Führung, die Schaffung einer parlamentarisch-konstitutionellen Monarchie bei gleichzeitigem demokratischem Wahlrecht und die Einführung der Rechtsgleichheit für alle Bürger stark.

Buch Hermann Schulze-Delitzsch
Das Buch zum Jubiläum:
Ausgewählte Schriften und
Reden des Gründungsvaters
der Genossenschaften

Gründungsvater der Genossenschaften
Im Zuge der Reaktion entmachtete Friedrich Wilhelm IV. im November 1848 die preußische Nationalversammlung und verlegte ihren Tagungsort nach Brandenburg. Als die Abgeordneten, unter ihnen auch Schulze-Delitzsch, darauf aus Protest mit einem allgemeinen Aufruf zur Steuerverweigerung reagierten, wurde er zusammen mit weiteren 41 Parlamentariern im Steuerverweigerungsprozess der Anstiftung zum Aufruhr angeklagt. Nach einer Aufsehen erregenden Verteidigungsrede Schulze-Delitzschs, der selbst seine Gegner Achtung zollten, sprach das Gericht ihn und 40 seiner Mitstreiter frei. Trotz des Freispruchs war seine berufliche Situation in der Folgezeit von den Nachwirkungen seiner politischen Betätigung während der Revolutionsjahre überschattet. Der liberale Politiker wurde überwacht, nach Posen strafversetzt und schied dort schließlich aus dem Justizdienst aus.
Ungeachtet dieser schwierigen beruflichen Phase begann er sich in der jungen Genossenschaftsbewegung zu engagieren. Noch während seiner Zeit als Abgeordneter der Preußischen Nationalversammlung war Schulze-Delitzsch in einer Handwerkerkommission des Parlaments mit der düsteren Situation der Handwerker und Kleingewerbetreibenden konfrontiert worden. Diese sahen sich durch die beginnende Industrialisierung mit ihren neuen Produktions- und Transportmöglichkeiten sowie den gesetzlichen Reformen (wie der Gewerbefreiheit) vor eine neue Situation gestellt. In den seltensten Fällen verfügten sie über das Kapital und die Beziehungen, um ihre benötigten Rohstoffe und Vorprodukte in größeren Mengen zu günstigeren Preisen zu kaufen. Stattdessen waren sie vielfach auf Zwischenhändler angewiesen, von denen sie die Materialien auf Kredit erwarben.
Um die Situation des Mittelstands zu verbessern, setzte Schulze-Delitzsch auf regionale Zusammenschlüsse. 1849 gründete er in seiner Heimatstadt eine Tischler- und eine Schuhmacher-Assoziation, ein Jahr später den Delitzscher Vorschussverein. Letzterer verfügte aber noch nicht über eine gemeinsame Haftpflicht der Mitglieder. Zudem finanzierte er sich mehrheitlich durch Spenden oder zinsfreie Darlehen wohlhabender Delitzscher Mitbürger, wie Schulze-Delitzsch später selbst kritisierte. Dass sein Konzept ausbaufähig war, zeigte sich noch im gleichen Jahr im Nachbarort. Der dort gegründete Eilenburger Vorschussverein richtete sich nach bankwirtschaftlichen Grundsätzen und rückte die Prinzipien Selbsthilfe und Selbstverantwortung in den Fokus.

Delitzscher Vorschussverein
Schulze-Delitzsch (sitzend, 2.vl)
im Kreis des Delitzscher
Vorschussvereins (1853)

Nach seinem Ausscheiden aus dem Justizdienst griff Schulze-Delitzsch die Erfahrungen in Eilenburg auf und ging an die Umorganisierung des Delitzscher Vorschussvereins. Seine dabei gewonnenen Erkenntnisse fasste er in dem 1855 erschienenen Handbuch „Vorschuss- und Kreditvereine als Volksbanken“ zusammen. Darin erklärte er praxisnah die Gründung von Vorschussvereinen und prägte auch den Begriff „Volksbank“. Angestoßen durch diesen „Leitfaden“ und unterstützt durch seine Vorträge und Artikel kam es zu einer Gründungswelle, die die Zahl der Vorschussvereine bis 1865 auf rund 1.000 anschnellen ließ.
Zur Bündelung ihrer Interessen regte Schulze-Delitzsch 1859 die Bildung des „Centralkorrespondenzbureaus der deutschen Vorschuss- und Kreditvereine“ an. Dieses wurde 1862 in eine „Anwaltschaft deutscher Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“ umgewandelt, der er bis zu seinem Tod vorstand. Gleichzeitig wurde er auch wieder politisch aktiv. 1861 ließ er sich in das neu konstituierte Preußische Abgeordnetenhaus wählen, nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 schließlich in den Deutschen Reichstag. Während dieser Zeit setzte er sich weiter für die Entwicklung des Genossenschaftswesens ein. Als Krönung seines Lebenswerkes kann dabei die Verabschiedung des preußischen Genossenschaftsgesetzes von 1867 gewertet werden, bedeutete es doch die allgemeine Anerkennung seiner wirtschaftlichen und sozialen Bestrebungen.


1889 wurde basierend auf Schulze-Delitzschs Ausarbeitungen eine Revision des Gesetzes beschlossen, welches noch heute die genossenschaftliche Gesetzgebung prägt. Die Verabschiedung dieses Gesetzes zu erleben war ihm jedoch nicht mehr vergönnt. Am 29. April 1883 verstarb Hermann Schulze-Delitzsch nach kurzer Krankheit in Potsdam, wo er am 3. Mai 1883 beerdigt wurde.
Zur historischen Bedeutung Schulze-Delitzschs
Zum geistigen Erbe Schulze-Delitzschs zählt das im Wesentlichen bis heute Bestand habende Genossenschaftsgesetz ebenso wie der Begriff „Volksbank“. Die Bezeichnung wurde von ihm erstmals 1855 in seiner Schrift „Vorschussvereine als Volksbanken“ geprägt und hat sich mit Peoples Bank, Banco Popular oder Banque Populaire inzwischen international als Marke etabliert. Für sein genossenschaftliches Wirken erfuhr Schulze-Delitzsch schon zu Lebzeiten zahlreiche Ehrungen im In- und Ausland, darunter beispielsweise 1873 die Ehrendoktorwürde der juristischen Fakultät der Universität Heidelberg. Parallel dazu wurden Teile seines publizistischen Schaffens ab 1871 auch ins Italienische und Französische übersetzt, wodurch er letztlich auch zur Entwicklung des europäischen Genossenschaftswesens beitrug.

Quelle: Geschichtskombinat
Bilder: BVR / Stiftung Genossenschaftshistorisches Informationszentrum (Berlin)
(ENDE) geschichtspuls/28.08.2008/mar

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