Unesco-Entscheidungen

Neues Welterbe in Deutschland

By | 28. Juli 2021

Das Unesco-Welterbekomitee hat etliche neue Kulturstätten aus Deutschland zum Weltkulturerbe erklärt. Darunter sind die jüdischen Schum-Stätten Mainz, Worms und Speyer, der deutsche Teil des Limes, drei Kurstädte und die Mathildenhöhe in Darmstadt.

SchUM-Stätten als Wiege des europäischen Judentums

Welterbe: Friedhof Judensand in Mainz Welterbe: Friedhof Judensand in Mainz
(Bild: Unesco/Erik Hartung)

SchUM ist das Akronym der mittelalterlichen hebräischen Städtenamen von Speyer, Worms und Mainz. Es bezeichnet den Zusammenschluss der drei jüdischen Gemeinden der Städte. Als Verbund der SchUM-Städte bildeten Mainz, Worms und Speyer im Mittelalter das Zentrum des Judentums in Europa. Mit ihrer Aufnahme in die Welterbe-Liste würdigt die Unesco erstmals jüdisches Kulturgut in Deutschland, dessen historische Wurzeln bis ins 10. Jahrhundert zurückreichen.

Von der wechselvollen Geschichte der drei Gemeinden erzählen bis heute Bauwerke und Friedhöfe, die zu den ältesten Zeugnissen jüdischen Lebens in Deutschland und Europa gehören. Das rituelle und gesellschaftliche Leben der Gemeinden spiegelt sich unter anderem in der Architektur des Judenhofs in Speyer, des Wormser Synagogenbezirks und der alten jüdischen Friedhöfe in Worms und Mainz. Form und Gestaltung dieser Stätten beeinflussten jüdisches Architekturdesign und jüdische Bestattungskultur in ganz Mitteleuropa nördlich der Alpen. Auch die Schriften der SchUM-Gelehrten sind bis heute Teil jüdischer Tradition. Das Verbot der Polygamie im europäischen Judentum geht ebenso auf die SchUM-Gemeinden zurück wie das Briefgeheimnis und eine Reform des Scheidungsrechts, das die Position der Frauen stärkte.

Mehr zum Welterbe SchUM-Stätten: SchUM-Stätten Speyer, Worms und Mainz (Unesco-Deutschland)

Nasse Grenze: Niedergermanischer Limes

Welterbe: Hafentempel im Archäologischen Park Xanten Welterbe: Rekonstruktion eines römischen Hafentempels der Colonia Ulpia Traiana im Archäologischen Park in Xanten
(Bild: Unesco/Erik Hartung)

Ebenfalls zum Unesco-Welterbe gehört jetzt der Niedergermanische Limes in Deutschland und den Niederlanden. Er erstreckt sich 400 Kilometer entlang des Rheins von Rheinland-Pfalz über Nordrhein-Westfalen bis zur niederländischen Nordseeküste. Damit schließt er die Lücke zwischen Hadrians- und Antoniuswall in Großbritannien und dem Obergermanisch-Raetischen Limes, der an Rhein und Donau entlang von Rheinbrohl in Rheinland-Pfalz bis zum Kastell Eining in Niederbayern führt.

In den letzten Dekaden vor Christus begonnen, markierte der Niedergermanische Limes die früheste durchgehende Grenzlinie des Römischen Reiches – auch wenn die Römer hier kein durchgehendes Bauwerk errichteten. Der Rhein diente ihren Zwecken vielerorts besser. Die neue Welterbestätte, auch Die auch „Nasser Limes“ genannt, setzt sich aus 44 Teilabschnitten von Remagen bis ins niederländische Katwijk zusammen. Die heute noch erhaltenen Überreste der Legionslager und Kastelle, von Häfen, Aquädukten und Tempeln zeigen die Entwicklung und Funktionsweisen sowohl der großen Operationsbasen als auch der kleineren Anlagen, die eine ausgedehnte Grenzbefestigung erfordert. Für das Verständnis des Grenzlebens selbst und erloschener Traditionen wie dem Flussschiffbau sind die erhaltenen Fragmente von unschätzbarem Wert.

Mehr zum Welterbe Niedergermanischer Limes: Nasse Grenze von Rheinland-Pfalz bis zur Nordsee (Unesco-Deutschland)

Mathildenhöhe Darmstadt

Als weiteres Weltkulturerbe aus Deutschland wurde die 1899 als Künstlerkolonie gegründete Mathildenhöhe Darmstadt anerkannt. Das Ensemble markiert einen Wendepunkt in Architektur und Kunst an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. 14 Jahre lang, von 1901 bis 1914, war die Mathildenhöhe eines der wichtigsten Zentren moderner Kunst und Architektur in Europa und der Welt. Vier internationale Ausstellungen trugen in dieser Zeit dazu bei, Architektur und Design in ein neues Zeitalter zu führen. Persönlichkeiten wie der Architekt Joseph Maria Olbrich und der Maler, Architekt und Designer Peter Behrens, Lehrer von Le Corbusier und den Bauhaus-Direktoren Gropius und Mies van der Rohe, prägten den Ort.

Klare Linien, reduzierte Ornamentik, Klinkerfriese, umlaufende Fensterfronten, Flachdächer, wie sie im Bauhaus zu vorherrschenden Stilelementen wurden, sah man erstmals in Darmstadt. Die Mathildenhöhe mit ihren Wohngebäuden und Ateliers, der wuchtigen Ausstellungshalle, ihren Gärten, Brunnen und dem weithin sichtbaren Hochzeitsturm steht wie kein anderer Ort für den architektonischen Aufbruch der Jahrhundertwende. Von hier gingen zahlreiche Impulse für Architektur, Kunst und Design aus, die die Moderne prägen sollten.

Mehr zum Welterbe Mathildenhöhe: Wo die Moderne ihren Anfang nahm (Unesco-Deutschland)

Kurbäder-Architektur

Welterbe: Kurhaus mit Casino in Baden-Baden Welterbe: Kurhaus mit Casino in Baden-Baden
(Bild: Unesco/Erik Hartung)

Weiterhin hat die Unesco elf europäische Bäder in sieben Ländern als „Bedeutenden Kurstädte Europas“ in die Welterbe-Liste aufgenommen. In den Orten zeugen geschlossene architektonische Ensembles bis heute von der Bäderkultur. Diese Tradition der Kur hat sich in Europa auf besondere Art herausgebildet. Rund um Heilquellen entstand ein eigener städtebaulicher Typus: die Kurstadt. Ihre Blüte erlebte die Bäderkultur zwischen 1700 und den 1930er Jahren. Überliefertes Wissen um die Heilkraft des Wassers sowohl beim Baden als auch beim Trinken wurde systematisch untersucht und angewandt.

Rund um die Heilquellen wurden exklusive Kurgebiete zur Heilung und Erholung angelegt. Quer durch Europa entstanden von England bis Rumänien rund 1.500 größere und kleinere Kurorte. Architekten von Rang wurden verpflichtet, Trinkhallen, Kurhäuser, Kolonnaden, Grand Hotels, aber auch private Villen und Sakralbauten für die verschiedenen Glaubensgemeinschaften zu entwerfen. In Theatern und Casinos kamen die Gäste zusammen, Kurgärten und Parks verleihen den Orten ihr mondänes Flair. Bis heute stehen die jetzt ausgezeichneten Kurstädte von Spa in Belgien, das französische Vichy, Bath im Westen Englands, Montecatini Terme in der Toskana, Baden bei Wien, Karlovy Vary, Františkovy Lázně und Mariánské Lázně im böhmischen Bäderdreieck, Baden-Baden, Bad Ems und Bad Kissingen für diese besondere Epoche europäischer Geschichte.

Mehr zum Welterbe Bedeutende Kurstädte in Europa: Zeugnisse der Bäderkultur (Unesco-Deutschland)

Hintergrund

Das UNESCO-Welterbekomitee tagt vom 16. bis 31. Juli 2021 online. Es setzt sich aus 21 gewählten Vertragsstaaten der Welterbekonvention zusammen. Es entscheidet in der Regel jährlich über die Einschreibung neuer Kultur- und Naturstätten in die Welterbeliste und befasst sich mit dem Erhaltungszustand eingeschriebener Stätten. Auf der Liste des UNESCO-Welterbes stehen derzeit 1.135 Kultur- und Naturstätten in 167 Ländern. 51 davon gelten als bedroht. Deutschland verzeichnet 50 Welterbestätten.

In den nächste Tagen wird zudem noch eine Entscheidung zur Welterbe-Bewerbung des Donaulimes erwartet. Ungarn hatte sich kurzfristig von der gemeinsam mit Deutschland, Österreich und der Slowakei vorgelegten Nominierung zurückgezogen. Das Unesco-Komitee hat eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um über den weiteren Umgang mit der Bewerbung zu beraten.


Quelle: Unesco Deutschland
(Ende) geschichtspuls/28.07.2021/mar