Hat Adolf Hitler schon vor „Mein Kampf“ ein Buch verfasst und unter falschem Namen veröffentlicht? Das behauptet der Historiker Thomas Weber unter Veweis auf neue Belege. Doch über die Relevanz seines Fundes gibt es unterschiedliche Ansichten.
Hitlers zweibändiges Buch „Mein Kampf“ erschien 1925 und 1926. Es gilt heute als sein einziges veröffentlichtes autobiografisches Werk. Nach allgemeiner Einschätzung kam Hitler bei der Arbeit an „Mein Kampf“ zu der Erkenntnis, dass nur er das deutsche Volk retten kann. Doch das sei „höchstwahrscheinlich falsch“, meint Thomas Weber, Professor für Geschichte und internationale Politik an der Universität Aberdeen. Seiner Meinung nach steht der spätere Diktator auch hinter dem bereits 1923 erschienenen Buch „Adolf Hitler: Sein Leben und seine Reden“.
Als dessen offizieller Autor gilt bislang Baron Adolf-Viktor von Koerber, ein damals in der Bevölkerung hoch angesehener Held des Ersten Weltkrieges. Doch der Norddeutsche – der später mit den Nationalsozialisten brach und das Ende des Zweiten Weltkrieges in einem Konzentrationslager verbrachte – wurde offenbar nur vorgeschoben, um dem Buch eine größere Bedeutung zu geben. „Hitler wusste, er war auf Unterstützung aus traditionellen konservativen Kreisen angewiesen. Doch zu diesem Zeitpunkt besaß er noch nicht die Glaubwürdigkeit, um sich selbst als der einzig wahre Führer hinstellen zu können“, meint Weber. Stattdessen sollte also der blonde und blauäugige Kampfflieger von Koerber für Hitler sprechen.
Als Beweis für seine Behauptung führt Weber zwei Dokumente an, die er in von Koerbers Nachlass in einem südafrikanischen Archiv fand. Das erste sei ein Schreiben von Koerbes an einen früheren Mithäftling in einem Konzentrationslager. Darin nennt er Weber zufolge ausdrücklich Hitler als Verfasser des Buches. Das zweite sei eine eidesstattliche Erklärung seiner Ehefrau, dass ihr Mann das besagte Buch nicht geschrieben hat. Stattdessen habe Hitler damals General Erich Ludendorff gebeten, einen konservativen Autor ohne Verbindung zur NSDAP zu finden.
„Die Tatsache, dass Hitler ein Buch über sich schrieb und unter falschem Namen veröffentlichte, spricht dafür, dass er sich schon zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt als allgemein angenommen als ‚Retter‘ der Deutschen sah“, fasst Weber seine neuen Erkenntnisse zusammen. Zudem zeige sich daran, dass Hitler schon zu diesem frühen Zeitpunkt seiner „Karriere“ ein politischer Strippenzieher war und intrigant und manipulativ seinen Weg an die Macht vorbereitete.
Sensationsfund oder Sensationslust?
Doch wie bedeutend Webers Schlussfolgerungen für die Zeitgeschichtsschreibung nun sind, darüber gehen die Meinungen auseinander. Kritik kommt beispielsweise von Othmar Plöckinger, Mitherausgeber der Edition von „Mein Kampf“ und Experte für Hitlers frühe Schriften. Das fragliche Buch „Adolf Hitler: Sein Leben und seine Reden“ enthalte nur zehn Seiten „euphorische Heldenvita“, gefolgt von sieben Reden Hitlers. Hitlers Autorenschaft an den Reden werde ernsthaft niemand bestreiten, zitiert die FAZ aus einer Stellungnahme Plöckingers. „Bleiben die wenigen Seiten Biografie, will man es so nennen. Sie stammen wohl kaum von Hitler selbst, denn sie enthielten schon für Zeitgenossen nichts Neues.“
- „Hitler’s secret autobiography“ (Artikel der Universität Aberdeen, engl.)
- Historiker will erstes Hitler-Buch entdeckt haben (Spiegel Online)
- Schrieb Hitler seine frühe Biographie selbst? (FAZ)
- Geheime Autobiografie von Hitler (Deutsche Welle)
- „Frühe biografische Texte zu Hitler“ (Aufsatz von Othmar Plöckinger, Institut für Zeitgeschichte München)
Quelle: siehe Links
Bilder: Universität Aberdeen
(Ende) geschichtspuls/09.10.2016/mar
Von mir stammt der Begriff ‚Sensation‘ nicht.
Das stimmt. Ich hoffe auch, dass mein Text nicht diesen Eindruck erweckt. Wie ich mich spontan erinnere, wurde Herr Plöckinger in der FAZ mit dem Begriff „Sensationslust“ (vor der er seine Historikerkollegen warnte) zitiert. Daraus ergab sich einfach eine gute Zwischenüberschrift…