125 Jahre Diercke Weltatlas

By | 18. November 2008

Ein Klassiker wird 125: Generationen von Schülern verschafften sich mit dem Diercke Weltatlas ihr erstes Bild von der Erde und auch im Internet-Zeitalter hat er weiterhin einen Stammplatz in vielen Bücherregalen (ja, auch in meinem). Ob Urlaubsort des Kaisers oder neue Grenzen nach der Wiedervereinigung – von den Anfängen bis heute reflektiert der Diercke das, was seiner Zeit wichtig war. Mit der kontinuierlichen kartographischen Bestandsaufnahme entwickelte sich der Weltatlas damit zu einem Kulturgut. Aus diesem Grund hier ein kleiner Rückblick auf den Diercke Weltatlas von 1883 bis 2008:

Carl Diercke
Carl Diercke

Ein neues Kartenwerk entsteht
Als leidenschaftlicher Geograph und ausgebildeter Lehrer verfolgte Carl Diercke ein Ziel: Er wollte sein Fach populärer machen und das Niveau an den Schulen heben. Der Braunschweiger Verleger George Westermann vertraute ihm und dem Leipziger Kartographen Eduard Gaebler das Projekt an: Einen gut gemachten, erschwinglichen Atlas für die höheren Schulen mit einem neuartigen Konzept. Die Vielgestaltigkeit der Erde stand nun im Mittelpunkt und nicht mehr die Staatenkunde.
1880 begann Diercke mit der Arbeit an dem neuen Atlas. Das Ziel waren eine klare und gut vorstellbare Darstellung der Erdoberfläche, sparsame Beschriftungen, vielseitige geographische Themen sowie einheitliche Maßstäbe für Übersichts- und Teilkarten. 1883 kam der „Schul-Atlas über alle Teile der Erde“ dann in die Buchhandlungen.
„Schlag zu mit Diercke“
1895, als Vaterland, Kolonien und Weltwirtschaft auf dem Stundenplan standen, wurde der Diercke das erste Mal neu bearbeitet. Der 700 Gramm leichte Erstling verdoppelte nahezu sein Gewicht – und soll nicht nur der Bildung gedient haben: „Schlag nach bei Duden, schlag zu mit Diercke“, lautet eine überlieferte Redensart. Das alte fast quadratische Format wurde der Ranzengröße angepasst und aus dem wortreichen Titel wurde der „Diercke Schul-Atlas“.

Cover Diercke Atlas
Das 1. Cover

Zeitzeuge von Revisionismus und Diktatur
Das Ende des Ersten Weltkrieges bedeutete eine Zäsur in der deutschen Geschichte, nicht jedoch für die Konzeption des Diercke. Wie die politische Grundstimmung in weiten Teilen der Gesellschaft zielten auch die Lehrpläne auf eine Revision des Versailler Vertrages. Dementsprechend hatten Karten für die Schule die abgetretenen Gebiete und die alten Grenzen des Deutschen Reiches zu kennzeichnen.
Als „Zeitzeuge“ fungierte der Diercke auch während des Nationalsozialismus. Als Schulverlag war Westermann gefordert, die expansiven Territorialansprüche und Kernstücke der NS-Ideologie im Weltatlas widerzuspiegeln. Lehrplangemäß mussten Gesichtspunkte wie „Volkstums-“ oder „Rassenkunde“ berücksichtigt werden.


1950 präsentierte der Verlag mit dem „Diercke Weltatlas“ dann die erste Nachkriegsausgabe, deren Deutschlandkarte von den Bundes- und Länderministerien, den Militärregierungen der Alliierten und dem Zentralverband der Vertriebenen abgesegnet werden musste. Des Konsenses bedufte die Frage, wie die Vorschrift der drei Westmächte, Deutschland in den Grenzen von 1937 und mit seinen Besatzungszonen zu zeigen, kartographisch umzusetzen war.
Überstunden für die Wiedervereinigung
1957 war es der Europagedanke, der die Diercke-Redaktion bei der Neubearbeitung besonders beschäftigte, bei der kompletten Neubearbeitung von 1974 war es die Sozialgeographie und schließlich 1990 die deutsche Einheit. Der Diercke dokumentierte die neuen Grenzen des vereinten Deutschlands im Eiltempo. Allein von Oktober bis Dezember 1990 absolvierten zehn Kartographen einen wahren Aktualisierungsmarathon: Sie leisteten 600 Überstunden, zusätzlich bewältigten externe Mitarbeiter 1000 Arbeitsstunden. Am Ende waren von dem 270 Seiten starken Atlas 160 Seiten korrigiert worden.
Technische Revolution in der Atlas-Herstellung
Ein handliches Buch aus Papier – medial scheint sich der Diercke in den letzten 125 Jahren nicht besonders verändert zu haben. Doch dieser erste Eindruck täuscht: Denn die digitale Technologie hat auch die Arbeit mit dem Atlas revolutioniert. „Eine einzelne Signatur in der Karte zu verschieben, war früher sehr aufwändig“, erzählt Michael Albrecht, der Leiter der Diercke Kartograpie. Um in einer komplexen Wirtschaftskarte ein einziges Bergbauzeichen nur einen halben Zentimeter zu versetzen, mussten die Filme für jede einzelne Farbe bearbeitet, Aussparungen in Negativen retuschiert und oft auch Schriften neu gesetzt und einzeln aufgeklebt werden. Besonders in den letzten 20 Jahren hat sich die Fertigung des Kartenmaterials durch die Digitalisierung deutlich erleichtert.
Ein Jahrzehnt dauerte es, bis das Kartenmaterial in das digitale kartographische Informationssystem überführt werden konnte. (Dabei benötigen die mehr als 450 Karten des neuen Diercke Weltatlas über 50 Gigabyte Speicherplatz.) Im digitalen Geoinformationssystem sind nun alle Flächen, Linien und Punkte mit ihren Koordinaten niedergelegt. „Wir können jetzt freier über Kartenschnitte, Inhaltsdichte und Maßstäbe verfügen“, freut sich Albrecht. Auch Details können nun von den Kartographen laufend aktualisiert werden.
Zum Jubiläum erscheint der Weltatlas in der ersten kompletten Neubearbeitung seit 1988. Mehr als 450 Karten und über 100 Diagramme und Grafiken enthüllen den aktuellen Zustand unserer Erde: Diercke Weltatlas (Jubiläumsausgabe Januar 2008), 299 Seiten, Westermann Verlag, ISBN 978-3-14-100700-8, Preis: 29, 95 Euro.
Mehr zum Diercke Weltatlas
Der Diercke im Virtuellen Markenmuseum
Video über die Entstehung des Diercke (RTL regional)
Erinnerungen an ein Schulbuch (einestages.de)
Rezensionen zur Diercke-Jubiläumsausgabe 2008 (Perlentaucher)
Kleine Anekdote aus dem Schulalltag (Dünenwanderer)

Quelle: Diercke
Bilder: Diercke/Westermann
(ENDE) geschichtspuls/18.11.2008/mar