Am 4. Dezember 1958 hob mit der „152“ das erste deutsche Verkehrsflugzeug mit Strahlantrieb zu seinem Erstflug ab. Angestachelt von weltpolitischem Ehrgeiz und dem festen Glauben an die Fortschrittskraft des Sozialismus wollte die „kleine“ DDR das beginnende Zeitalter der Düsenverkehrsflugzeuge mitgestalten und – trotz ihrer durch Krieg und Reparationslasten begrenzten Ressourcen – der kapitalistischen Konkurrenz die Stirn bieten. Doch mit dem Absturz des Prototyps beim 2. Probeflug wurde bald das Ende der DDR-Luftfahrtindustrie eingeläutet.
Vorbereitung auf den Erstflug der 152 V-1 am 4. Dezember 1958 |
Der Aufbau einer eigenen Luftfahrtindustrie in der DDR begann Anfang 1952 in aller Stille mit der Bildung einer Sonderabteilung („Materialamt“) auf dem oberhalb der Stadt Pirna gelegenen Sonnenstein. Einen wesentlichen Anstoß hierfür gab die bevorstehende Rückkehr zahlreicher Luftfahrt-Spezialisten, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zur „Wissensabschöpfung“ in die Sowjetunion verbracht worden waren.
Ehrgeiziges Ziel: Der erste deutsche Passagierjet
Das große Ziel war die Konstruktion des ersten deutschen Passagierjets mit Strahlantrieb. Die Vorarbeiten hierzu waren bereits von einer letzten Gruppe deutscher Luftfahrtexperten geleistet worden, die noch im Dezember 1953 im nördlich von Moskau gelegenen Sawjelowo zusammengezogen worden waren. Unter Leitung der Ingenieure Brunolf Baade, Rudolf Scheinost und Ferdinand Brandner hatten sie dort unter anderem das zivile Verkehrsflugzeug „152“ mit vier Strahlturbinen des Typs „TL 014″und zunächst 24 Passagieren projektiert.
Als Standort für die Flugzeugproduktion wurde Dresden-Klotzsche ausgewählt, wo die Hallen und Gebäude der Luftkriegsschule gute Voraussetzungen für eine rasche Produktionsaufnahme erwarten ließen. Nach zähen Verhandlungen mit den sowjetischen Truppen, welche die Klotzscher Anlagen für den fliegerischen Ausbildungsbetrieb nutzten, konnte ab 1955 eines der größten Investitionsvorhaben der DDR-Volkswirtschaft begonnen werden. Auf dem Gelände des 1935 eröffneten Flugplatzes und der Luftkriegsschule wurde eine 2.500 Meter lange und 80 Meter breite Start- und Landebahn errichtet, die – mehrmals instand gesetzt – bis Mitte des Jahres 2007 in Betrieb war. Hinzu kamen zwei gewaltige Montagehallen und eine Vielzahl weiterer Gebäude und Anlagen.
Produktion der „152“, vorn die 152 V-4 (August 1960) |
Parallel zur Konstruktion des Düsenstrahlflugzeugs wurde zudem die Lizenzproduktion des zweimotorigen Mittelstrecken-Verkehrsflugzeugs Iljuschin „IL 14 P“ aufgenommen, um erste Erfahrungen im Flugzeugbau zu sammeln. Die Fertigung wurde jedoch Ende 1958 wieder eingestellt, so dass dann die gesamte Kapazität der DDR-Luftfahrtindustrie für die Fertigung der „152“ zur Verfügung stand.
Das ganze Ausmaß dieses anspruchsvollen Luftfahrt-Projektes scheint man bei der Planung indes sowohl in ökonomischer als auch in konstruktiver Hinsicht vollkommen unterschätzt zu haben. Zwar war das wissenschaftliche/technische Potential – wenn auch zahlenmäßig begrenzt – vorhanden, jedoch fehlte der komplette Ober- und Unterbau für eine tragfähige Luftfahrtindustrie, so unter anderem bei den notwendigen Kapazitäten im Bereich der Metallurgie und des Gerätebaus. Aufgrund der wirtschaftlich angespannten Lage in der DDR und der nur begrenzt vorhandenen Devisen waren Zulieferungen aus westlichen Industrieländern weitestgehend ausgeschlossen. Zudem stellten die heimkehrenden Luftfahrtspezialisten schnell fest, dass ihr auf Basis des Bombers „150“ entwickeltes Düsenverkehrsflugzeug dem westlichen Niveau deutlich hinterher hinkte. Hinsichtlich von Flugleistung und Wirtschaftlichkeit wurde eine wesentliche Überarbeitung und Anpassung der „152“ notwendig.
Rollout der 152 V-1 (30. April 1958) |
Absturz nach dem Jungfernflug
Am Vorabend des Maifeiertages 1958 wurde schließlich die „152“ feierlich vor die Halle 222 gerollt. Die DDR-Staatsführung nutzte das Roll-out für eine große propagandistische Inszenierung. Auf den Bildern der Fernsehkameras war der mangelhafte Montagestand der Maschine nicht zu erkennen, die Reden verschwiegen die erheblichen Terminverzögerungen. Erst Ende des Jahres war die „152“ zum Erstflug bereit, der schließlich am 4. Dezember 1958 gelang.
Aber schon bald erlitten die Arbeiten an diesem engagierten Projekt einen tragischen Rückschlag. Am 4. März 1959, bei seinem zweiten Flug, stürzte der „152“-Prototyp im Anflug knapp sechs Kilometer vor dem Flughafen ab. Die vierköpfige Besatzung kam ums Leben. Die Absturzursache – offiziell eine unglückliche Verkettung der Umstände mit einem letztendlichen Pilotenfehler – wurde bis heute nicht eindeutig geklärt, zumal der Untersuchungskommission auf Weisung von Walter Ulbricht nur eine Woche zur Ursachenforschung zugestanden und anschließend die Reste der Unglücksmaschine beseitigt wurden.
Der nächste schwere Schlag folgte bereits ein Vierteljahr später. Statt endlich schriftliche Kaufverträge für die „152“ zu unterzeichnen, machte die sowjetische Führung der DDR unverblümt klar, entgegen aller bisherigen mündlichen Zusagen keine Flugzeuge der Typen „152“ und „153“ kaufen zu wollen. Damit stellte sie schlagartig die Zukunft der gesamten ostdeutschen Luftfahrtindustrie in Frage, die fest auf die Sowjetunion als Großabnehmer ausgerichtet war.
Überführung der „152 V-4“ zur Flugerprobung (August 1960) |
Zu spät für den Weltmarkt
Zwar wurde 1960 nach neuerlichen Verzögerungen noch ein weiterer Prototyp der „152“ fertig gestellt, mit dem auch zwei erfolgreiche Probeflüge absolviert wurden. Doch die Luft für den Düsenjet „made in GDR“ war angesichts mangelnder Exportaussichten – bedingt auch durch einen zunehmenden technische Rückstand – sehr dünn geworden.
Am 28. Februar 1961 wurde schließlich während einer Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees ein kurzer aber einschneidender Entschluss getroffen: „Der Flugzeugbau wird eingestellt.“ Zur Begründung hieß es im Anhang des Sitzungsprotokolls:
„Die Durchführung aller konstruktiven Änderungen würde in ihrem Umfang einer Neuentwicklung gleichkommen, so dass ein Einsatz der „152“ im Passagierverkehr nicht vor 1964 zu erwarten ist. Aufgrund dieser Tatsache ist die Exportmöglichkeit der Maschine in Übereinstimmung mit dem Außenhandel unwahrscheinlich. Damit ist eine Realisierung (…) nicht zu vertreten.“
Insgesamt hatte sich die DDR die Entwicklung einer eigenen Luftfahrtindustrie allein in den Jahren 1955 bis 1960 rund 1,6 Milliarden Mark aus dem Staatshaushalt kosten lassen. Und auch für die folgenden Jahre ging die Staatliche Plankommission davon aus, dass der Staat jährlich etwa 200 bis 250 Millionen Mark zuschießen müsste. Doch so ein kostspieliges Prestigeobjekt konnte sich die Wirtschaft des Arbeiter- und Bauernstaates nicht mehr leisten, zumal auch andere Industriezweige, allen voran die Konsumgüterindustrie, nach Investitionsmitteln verlangten.
Die Dresdner Luftfahrtindustrie heute
Rumpf der 152 im Westflügel des Terminals (Juni 2008) |
Nach dem Ende der DDR-Flugzeugbaus übernahm 1962 die Nationale Volksarmee (NVA) den Dresdner Flugplatz. Aus dem Flugzeugwerk wurde die Flugzeugwerft Dresden, die sich mit der Instandsetzung militärischen Fluggeräts beschäftigte. Nach der Wende 1989/90 konnte die Dresdner Luftfahrtindustrie wieder an alte Traditionen anknüpfen. Die EADS Elbe Flugzeugwerke GmbH (EFW) rüstet hier Passagiermaschinen der Airbus-Familie zu Frachtmaschinen um und produziert Innenausstattungskomponenten für Airbus-Flugzeuge vom A318 bis zum A380. Weitere Unternehmen am Flughafen Dresden fertigen, prüfen und warten Flugzeugkomponenten. Das Kompetenzzentrum für Luft- und Raumfahrttechnik Sachsen/Thüringen mit Sitz am Airport vereint luftfahrtaffine Firmen der Region.
Mehr zum Thema:
Die Flugzeugwerke Dresden und die „152“ (Themenseite des Technikjournalisten Holger Lorenz)
Geschichte des ersten deutschen Strahlverkehrsflugzeugs (SKYBIRD Pro Luftfahrt e.V.)
Flughafen-Magazin Rundflug: Wie die „152“ Dresden beflügelte (.pdf-Datei, darin übrigens auch ein interessanter Artikel zur Flughafenfeuerwehr)
Meine Geschichte: Gerhard Güttel – Der Pilot der 152 (MDR Barbarossa)
Prof. Brunolf Baade – Ein Leben für den Flugzeugbau (flugzeug-lorenz.de)
Ehemalige Luftkriegsschule Klotzsche (Das neue Dresden)
Nachtrag vom 5. Dezember 2008: Werbefilm zur DDR-Flugzeugindustrie mit der „152“
Quelle: Flughafen Dresden, eigenes Dissertationsprojekt
Bilder: EADS Elbe Flugzeugwerke, Archiv Luftfahrt Ost, Flughafen Dresden/Michael Weimer
(ENDE) geschichtspuls/03.12.2008/mar