Die Geschichte der Karstadt-Warenhäuser

By | 10. Juni 2009

„Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“ – so titelte Karstadt noch 2006 in der Chronik zum 125. Jubiläum. „So eine Idee“, hieß es weiter, „eine große Idee, eine Idee, die das Leben der Menschen verändern sollte, kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf: das Prinzip Warenhaus.“ Doch Zeiten ändern sich, Ideen überleben sich. Das muss jetzt auch die traditionsreiche Kaufhauskette erfahren. Trotz wochenlanger Verhandlungen ist es dem Mutterkonzern Arcandor nicht gelungen, millionenschwere Kredite abzulösen – nun ist das Unternehmen pleite. Für Karstadt bedeutet das Insolvenz im 128. Jahr der Firmengeschichte.


Der Firmengründer:
Rudolph Karstadt

Gründerzeit der Warenhäuser
Das Prinzip der Warenhäuser reicht zurück bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. 1852 übernimmt Aristide Boucicaut mit seiner Frau in Paris das Warengeschäft „Le Bon Marché“ und baut es innerhalb weniger Jahre in ein Großwarenhaus aus. In England öffnet 1863 das „Whiteley“ seine Pforten, wenig später auch „Harrods“ und „Selfridges“. In Deutschland entstehen die ersten Warenhäuser in der Provinz: 1875 eröffnen Abraham und Ida Wertheim in Stralsund das erste Wertheim-Warenhaus. Es folgen unter anderem 1879 Leonhard Tietz (Stralsund – Vorläufer von Kaufhof), 1882 Oscar Tietz (Gera – später Hertie) oder 1885 Theodor Althoff (Dülmen).
Rudolph Karstadt eröffnet am 14. Mai 1881 sein erstes Geschäft im mecklenburgischen Wismar: das „Manufactur-, Confections- und Tuchgeschäft C. Karstadt„. Das „C“ steht dabei für Rudolphs Vater Christian. Seine Beteiligung ist notwendig, da die mecklenburgische Gewerbeordnung zu dieser Zeit für selbstständige Kaufleute ein Mindestalter von 30 Jahren vorschreibt – und Rudolph Karstadt ist erst 25.
Visionäre Geschäftsidee
Schon mit seinem ersten Geschäft verwirklicht auch Karstadt eine für die damalige Zeit revolutionäre Geschäftsidee: Er bietet zahlreiche Artikel „in größter Auswahl und zu sehr billigen Preisen“, wie die Eröffnungsanzeige verkündet. Der Verkauf finde jedoch „nur gegen Baar statt.“ Mit diesem Prinzip bricht er mit der herkömmlichen Praxis im Einzelhandel, nach der um die Preise gefeilscht und die Zahlungen oftmals angeschrieben werden. Doch nur dank der sicheren kontinuierlichen Einnahmen kann Karstadt genau kalkulieren und gegenüber seinen Lieferanten günstige Einkaufskonditionen durchsetzen.

Karstadt-Stammhaus in Wismar 1908
Karstadt-Stammhaus
in Wismar (1908)
Althoff-Warenhaus in Hagen 1895
Das 2. Warenhaus Althoffs
eröffnet 1895 in Hagen.

Und in noch einem Punkt zeigt sich der junge Kaufmann revolutionär: der Reklame. Zeitungsannoncen, dekorierte Schaufenster und eine ansprechende Präsentation der Waren – all das erscheint heute selbstverständlich, wird damals jedoch von vielen noch als „unlauter“ empfunden.
Das Unternehmen wächst
Der Mut zu Neuem macht sich für Rudolph Karstadt schnell bezahlt. Bereits 1884 kann er seine erste Filiale in Lübeck eröffnen. Weitere Niederlassungen unter anderem in Neumünster (1888), Braunschweig (1890), Bremen (1902) und Hannover (1906) folgen. Zudem erwirbt er zur Jahrhundertwende 13 Kaufhäuser von seinem in Schwierigkeiten geratenen Bruder Ernst. Zum 25. Firmenjubiläum im Jahr 1906 kann Karstadt bereits auf eine Filialkette von 24 Kaufhäusern in ganz Norddeutschland blicken.
1912 wagt der umtriebige Hanseat den direkten Schritt in die Hamburger City. Nachdem die früheren Filialen eher den Charakter großer Spezialgeschäfte hatten, gibt es in dem neuen Warenhaus in der Hamburger Mönckebergstraße erstmals so gut wie alles (ausgenommen Lebensmittel). Ein weiterer großer Schritt erfolgt 1920: Die Firma wird in eine Aktiengesellschaft umgewandelt (Börsengang 1924) und fusioniert mit den Warenhäusern von Theodor Althoffs. Zusammengenommen zählt die neue Rudolph-Karstadt AG nun 44 Verkaufshäuser.
In den Folgejahren treibt Karstadt die Expansion weiter voran. Neue Filialen entstehen – darunter 1929 am Berliner Hermannplatz das seinerzeit modernste Warenhaus Europas –, zudem werden verschiedene Zulieferbetriebe aufgekauft. 1926 wird sogar eine eigene Spedition in Hamburg gegründet. Doch zum Ende der 1920er Jahre dreht das Klima. Die Weltwirtschaftskrise führt zu deutlichen Absatzrückgängen in Deutschland und einer durchgreifenden Reorganisation des Unternehmens.
Dunkle Zeiten
Als im weiteren Ergebnis der Weltwirtschaftskrise 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kommen, wird Karstadt zum Ziel ideologischer Boykotthetze und warenhausfeindlicher Gesetzgebung „zum Schutz des deutschen Einzelhandels“. Gleichzeitig müssen im Zuge der Arisierung über 800 jüdische Angestellte den Konzern unfreiwillig verlassen, darunter 43 Geschäftsführer und vier Vorstandsmitglieder. Zwangswirtschaft und Warenkontingentierung führen zu erheblichen Problemen bei der Warenversorgung. Zudem werden mit Kriegsbeginn zahlreiche Mitarbeiter eingezogen. Um in dieser Situation Arbeitskräfte (aber auch Energie und Räume) einzusparen, kommt es zu Zwangsschließungen und -zusammenlegungen im gesamten Einzelhandel, von denen auch Karstadt betroffen ist.
Wenige Monate vor Ende des Zweiten Weltkrieges stirbt Firmengründer Rudolph Karstadt am 15. Dezember 1944 im Alter von fast 89 Jahren. Die Enteignung von 22 Warenhäusern, die nach Kriegsende in der sowjetischen Besatzungszone liegen, bleibt ihm erspart. Von den 45 verbleibenden Filialen auf westlicher Seite sind über 30 komplett zerstört, ausgebrannt oder schwer beschädigt. Die ersten Nachkriegsjahre sind beschwerlich, es mangelt an vielem, Improvisation ist gefragt. So verkauft Karstadt etwa Tortenteller aus Sperrholz, Luftpumpen aus Geschosshülsen oder Kochtöpfe aus Stahlhelmen. Doch drei Jahre später sind die Schaufenster wieder voll – auch dank Marshall-Plan und Währungsreform. Zum 75. Jubiläum 1956 übertreffen die Karstadt-Umsätze in den mittlerweile wieder 49 Filialen erstmals die Marke von einer Milliarde D-Mark.
Neue Herausforderungen

Verkaufsabteilung in den 50er Jahren
Blick in eine Verkaufsabteilung
in den 50er Jahren

1963 wird die Rudolph Karstadt AG zur Karstadt AG umbenannt. Alle Warenhäuser – ausgenommen das Münchener „Oberpollinger“ – firmieren seither einheitlich unter dem Namen Karstadt. Ab Mitte der 1960er muss sich der Konzern einer neuen Herausforderung stellen: Eine wachsende Zahl an Stadtbewohnern kann sich dank des „Wirtschaftswunders“ ein Haus im Grünen leisten. Ein Teil des Einzelhandels folgt ihnen vor die Tore der Städte – in großzügig geplante Einkaufscenter auf der grünen Wiese, die auch von der gestiegenen Auto-Mobilität der Menschen profitieren. Gleichzeitig ändert sich das Kaufverhalten. Die dringendsten Bedürfnisse der Nachkriegszeit sind gestillt, die Kunden werden anspruchsvoller.
Karstadt reagiert mit einem breiteren Warensortiment und wendet sich zudem ab den 70er Jahren neuen Geschäftsfeldern zu: 1971 erfolgt der Einstieg in die Reisebranche, 1972 wird das erste Augenoptik-Studio eröffnet, 1976 folgt das erste Sportgeschäft und 1977 gelingt der Sprung in den Versandhandel durch die Mehrheitsbeteiligung an der Neckermann AG. Zum 100jährigen Firmengeburtstag 1981 zählt die Karstadt AG 155 Warenhäuser und rund 75.000 Mitarbeiter.
Wiedervereinigung
Nach dem Mauerfall 1989 weitet der Konzern sein Geschäft nach Osten aus. 17 Millionen neue Kunden warten in der ehemaligen DDR. Bis 1991 übernimmt Karstadt mehrere der ehemaligen „Centrum„- und „Magnet“-Warenhäuser in den neuen Bundesländern. So kehrt das Unternehmen auch an seinen Gründungsort Wismar zurück.
Auch in den Folgejahren setzt der Konzern auf weitere Expansion. Dazu wird 1994 die Hertie Waren- und Kaufhaus GmbH übernommen, zu der auch das KaDeWe in Berlin gehört. 1999 verschmilzt Karstadt dann mit Europas zweitgrößtem Versandunternehmen zur KarstadtQuelle AG (heute Arcandor).
Niedergang
Im Oktober 2004 wird bekannt, dass die Karstadt-Warenhäuser als auch der gesamte KarstadtQuelle-Konzern mit dramatischen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Diese sind zum einen auf Problemen des gesamten Einzelhandels (Ausbreitung der Discounter, „Geiz ist geil“-Mentalität, Online-Shops) zurückzuführen. Zum anderen kritisieren Experten aber auch hausgemachte Probleme: Entgegen dem Markttrend habe Karstadt an einem Gemischtwarenprogramm festgehalten. Zudem sei die Einrichtung der Warenhäuser oftmals noch zu altmodisch, das Programm nicht kundengerecht.

Karstadt 125. Jubiläum 2006
Da war die Welt noch in Ordnung:
Motiv zum 125. Jubiläum 2006

Bei Karstadt versucht man zwar noch, mit einer Restrukturierung das Ruder herumzureißen. Die gehobene Mitte wird als Kundengruppe stärker in den Fokus gerückt, zahlreiche Filialen werden modernisiert sowie 74 kleinere Warenhäuser und mehrere Fachhandelsketten wie SinnLeffers und Runners Point verkauft. Zudem öffnet der Konzern sein Internet-Portal karstadt.de. Damit verschafft sich das Unternehmen für kurze Zeit noch mal Luft.
Doch 2009 steht Karstadt – zumindest vorläufig – vor dem endgültigen Aus. Der Mutterkonzern Arcandor hat nach 127 Jahren Insolvenz angemeldet. Wie es für Karstadt jetzt weitergeht, ist noch offen. Ein starkes Interesse an den Warenhäusern hat jedoch bereits der Metro-Konzern bekundet. Zusammen mit den eigenen Kaufhof-Warenhäusern könnte daraus eine „Deutsche Warenhaus AG“ entstehen.
Mehr zur Karstadt-Geschichte und der aktuellen Insolvenz:
Karstadt-Artikel bei wikipedia
Bar, aber billig – die simple Idee des Rudolph Karstadt (sueddeutsche.de)
Im Fokus: Karstadt am Berliner Hermannplatz (berlin-hermannplatz.de)
Der Kunstname Arcandor brachte Karstadt kein Glück (NZZ Online)
Metro plant Kauf von Karstadt – und Weiterverkauf (Spiegel Online)
Arcandor: Konkurrenten wollen Pleitekonzern fleddern (Spiegel Online)
Kaufhof, Karstadt, Hertie: Die Geschichte der Warenhäuser (n-tv.de)

Quelle: Karstadt AG, „Schaufenster Karstadt – Einblick in 125 Jahre“, Essen (2006)
Bilder: Karstadt; letztes Bild Ge.Ko2 (Karstadt-Tragetasche zum Jubiläum 2006)
(ENDE) geschichtspuls/10.06.2009/mar

7 thoughts on “Die Geschichte der Karstadt-Warenhäuser

  1. Pingback: GeschichtsPuls: Die Geschichte der Karstadt-Warenhäuser | Geschichtskombinat

  2. Petra

    Also ich glaube in der ganzen Geschichte von Karstadt war nichts so schlimm und so schwer überwindbar wie Arcandor. Ich bin fest davon überzeugt, dass das noch Karstadts Untergang markieren wird. Vielleicht passiert das noch nicht so bald, aber wenn es soweit ist, wird es mit Sicherheit an den Spätfolgen der Arcandor-Wirtschaft liegen. Karstadt hätte auf eigenen Beinen wohl wesentlich bessere Chancen gehabt, sich auf die Zukunft einzustellen.

  3. Pingback: Linkwertig (28.02.2011): Tankstellen-Oligopol, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Volkswagen, Karstadt-Sanierung | Finanzwertig

  4. Holger-Philipp Bergt

    Guten Abend,
    die Bildunterschrift zum 3. Foto zeigt nicht das „2. Haus von Althoff in Hagen“, sondern das 2. Althoff-Haus in ESSEN (Ruhr) in der Straße II. Hagen – ein ziemlich dicker Fehler …
    Ebenso ist das Foto einer Verkaufsabteilung in den 30er Jahren entstanden, nicht in den 50ern 🙂 !
    Gruß aus Bremen,
    Holger-Philipp Bergt

  5. Marvin

    Vielen Dank für die Bilderhinweise. Die ursprünglichen Bildangaben habe ich direkt von Karstadt. Was jetzt richtig ist, kann ich auf die schnelle leider nicht beurteilen. Daher lasse ich ihre Angaben als Ergänzung einfach mal hier stehen…
    [Für die verspätete Kommentarfreischaltung bitte ich um Entschuldigung.]

  6. Karstadt-Hasi

    Ich wünsche mir, das Karstadt- Braunschweig sein 125 jähriges Jubiläum dieses Jahr feiert/feiern darf.
    Auch wünsche ich mir, das es Karstadt in dieser Art noch weiter besteht und nicht in anderer Form genutzt wird. Seit der Ära Urban / Middelhoff hat der Untergang und Ausverkauf zu Schnäppchenpreisen begonnen und bis heute kein Ende gefunden, denn jeder bedient sich weiter an Karstadt, ohne zu bezahlen.
    Die Rechnungen bezahlen dafür die Mitarbeiter des Konzerns. Wann wird da ein Riegel vorgeschoben? Ich glaube nie, so lange kein ehrlicher Investor aus dem Einzelhandel das Unternehmen führen wird.
    Karstadt braucht keine Immobilieninvestoren. Wo sind aber die 19 Mrd. Euro geblieben? Karstadt-Immobilien wurden doch verschenkt und nicht bezahlt! Das ist der größte Betrug in der Geschichte nach den II. Weltkrieg.
    Wann sind die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abgeschlossen, und wird Anklage gegen die Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder erheben? Es wurden doch völlig offensichtlich Insidergeschäfte abgewickelt. Dieses beweist auch dieser preisgekrönte Beitrag! Alleine dafür müssen diese Herren angeklagt werden, dazu
    gehören auch Esch, Schickedanz und Ehemann, Oppenheimer und Co., bekannte Schriftstücke beweisen dieses.
    Doch glaube ich nicht mehr an Gerechtigkeit! Unsere Justiz hat mich schon zu oft schwer enttäuscht. Es müsste schon ein Wunder geschehen, und Wunder und Gerechtigkeit gibt es nicht mehr. Nur noch im Märchen!

  7. notmsparker

    Vielen dank für den tollen Text und die spannende Web Seite – ich werde sie mit Freude folgen:)

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