Schneechaos in Deutschland

Katastrophenwinter 1978/79: Im Schnee versunken

By | 16. Januar 2016

„Winteralarm in Deutschland“, „Der Winter schlägt zu“ oder „Die Schneewalze kommt!“ – so rauscht es durch den (virtuellen) Blätterwald, sobald mal wieder etwas Schnee fällt. Doch was wirkliches Winterchaos ist, zeigt ein Blick zurück auf den Katastrophenwinter 1978/79.

Ein Trabant fährt durch eine verschneite Landstraße auf Rügen 1978/79Verschneite Straße auf Rügen
(Bild: Rüganer Egon Nehls)

Nachdem zu Weihnachten vor 37 Jahren noch starkes Tauwetter herrschte, gab es zum Jahreswechsel besonders in Nord- und Mitteldeutschland einen dramatischen Temperatursturz. Während zur Mittagszeit des 31. Dezember 1978 beispielsweise auf dem Fichtelberg noch ein Grad plus gemessen wurde, waren es am Neujahrsmorgen ganze 27 Grad minus. Hinzu kam ein fast 78-stündiger Schneesturm, der vor allem den Norden Deutschlands unter seinen Schneemassen begrub. Erst mehrere Wochen später beruhigte sich die Lage.

Schneemassen und eisige Sturmflut an der Küste

Mehrere Meter hohe Schneeverwehungen über den Gleisen und vereiste Weichen zwangen zahlreiche Züge zum Stillstand, hunderte Fahrzeuge blieben auf den Straßen und Autobahnen liegen, ganze Orte – darunter auch Städte wie Bremerhaven, Cuxhaven oder Wilhelmshaven – waren von der Außenwelt abgeschnitten, Stromleitungen brachen unter der Last von Eis und Schnee zusammen. Darunter litten vor allem die norddeutschen Bauern: Durch den Stromausfall standen fast alle Melkmaschinen still. „Die Kühe stehen im Stall und brüllen!“, summierte da ein höchst erregter Bauer seine verzweifelte Lage.

In zahlreichen Landesteilen wurde Katastrophenalarm ausgelöst. Mehrere zehntausend Helfer vom DRK, der Bundeswehr, Technischem Hilfswerk oder der Feuerwehr waren im Einsatz; es gab mehrere Tote. An der Ostseeküste wurde das Winterchaos noch verschärft durch Hochwasser von 1,50 Meter über Normalnull. Ganze Stadtviertel von Flensburg, Schleswig oder Lübeck wurden überschwemmt.

Impressionen vom Katastrophenwinter 1979 auf Rügen
Fußgänger zwischen Schneewehen auf verschneite Landstraße auf Rügen (Garz) 1979
Verschneite Landstraße auf Rügen (bei Garz)
Schneeverwehung auf Landstraße, Garz/Rügen 1979
Von Schneeverwehung blockierte Landstraße auf Rügen im Februar 1979
Schneeschippen auf einer Landstraße bei Garz/Rügen 1979
Mit Schaufeln gegen die Schneemassen
(Bilder vom Rüganer Egon Nehls, wesentlich mehr vom Inselwinter 1978/79 gibt’s in seinem Web-Album)

Auszug aus den monatlichen Witterungsberichten des Deutschen Wetterdienstes:
Im Norden fielen vom 27. bis 29. [Dezember 1978] täglich verbreitet mehr als 10 mm Niederschlag, gebietsweise erheblich mehr (Schleswig 96 mm während dieses Witterungsabschnitts). Die Schneedecke wuchs immer weiter an und erreichte am 31. in Schleswig 60 cm. (…) Die größte Niederschlagshöhe dieser Witterungsperiode meldete der Feldberg/Schwarzwald mit 157 mm… Mit Ausnahme von föhnigen Auflockerungen in Alpennähe wurde meist kein Sonnenschein registriert, nur vereinzelt 1 oder 2 Stunden.
(…)
Eine von West nach Ost ziehende Regenfront verursachte am 08.
[Januar 1979] in der Bundesrepublik die größte Glatteiskatastrophe der letzten Jahre. Auf den mit einer durchgehenden Eisschicht überzogenen Straßen kam es zu Massenkarambolagen. Nahezu alle Flughäfen mussten geschlossen werden.

Zweite Welle von Schnee und Eis im Februar 1979

Kaum hatte man die erste Schneeflut im Griff, kam es Mitte Februar zu einem erneuten heftigen Wintereinbruch. „So etwas passiert nur einmal in Hundert Jahren – in Norddeutschland ist es jetzt, nur 6 Wochen nach der Schneekatastrophe vom Jahreswechsel, zum zweiten Mal passiert!“ – mit diesen Worten begannen damals die ARD-Tagesthemen eines Abends ihre Berichterstattung über die nahezu identische Wetterkatastrophe.

Die Schneedecke erreichte örtliche Höhen bis 70 cm. Infolge eines starken bis stürmischen Ostwindes entstanden vielfach Verwehungen, die den Verkehr auf den Straßen und Schienen in weiten Teilen Norddeutschlands zusammenbrechen ließen, … Erneut wurde Katastrophenalarm gegeben. (…) Die diesmal auftretenden Verwehungen übertrafen jedoch noch die damaligen Ausmaße [d.h. zum Jahreswechsel 1978/79]. Vor allem der Nordwesten war jetzt ungleich stärker betroffen als zum Jahreswechsel.
(Kopien der Witterungsberichte des Deutschen Wetterdienstes finden sich beim NDR: Wetterlage im Winter 1978/79 (.pdf-Datei))

Soldaten halfen in Ost und West

In der Bundesrepublik versuchte die Bundeswehr, eingeschneite Autos und LKWs auf der Autobahn mit Panzern zu befreien. In einigen Fällen mussten Schwangere mit Hubschraubern von Bundeswehr oder der zivilen Rettungskräfte zur Entbindung in Krankenhäuser geflogen werden. Die so geborenen Kinder wurden als „Heli-Babys“ bekannt – unter ihnen war auch das „Geschwaderkind“ Bettina Hoge.

Bagger kämpft sich durch Schneeverwehungen auf RügenSchweres Gerät: Mit dem Bagger gegen Schneeverwehungen
(Bild: Rüganer Egon Nehls)

In der DDR sprengte die Nationale Volksarmee bis zu sechs Meter hohe, betonharte Schneeverwehungen, um Hilfskräften einen Weg auf die von der Außenwelt abgeschlossene Insel Rügen zu bahnen. Und auch in den für die Energieversorgung wichtigen Braunkohletagebauen mussten die ostdeutschen Soldaten ran, um die festgefrorene Kohle den eisigen Klauen von „General Winter“ wieder zu entreißen. Trotz ihres Einsatzes bracht in weiten Teilen der DDR die Stromversorgung für einige Tage lang zusammen – tageweise da, nur stundenweise dort, und das selbst in den bevorzugt zu versorgenden Großstädten. Immerhin strömte das Gas weiterhin problemlos. So konnten die Menschen zumindest in den Neubauwohnungen ihre Backöfen zum Heizen nutzen.

Die beiden Schneestürme während des Katastrophenwinters 1978/79 forderten auch mehrere Menschenleben. In der Bundesrepublik waren es 17 Menschen. In der DDR wurden fünf Opfer offiziell gemeldet, weitere sind jedoch anzunehmen – verlässliche Informationen über die tatsächliche Zahl der Toten gibt es aber offenbar bis heute nicht.

Das Schneechaos in Ton und Bild

Abschließend noch der Hinweis auf eine aktuelle TV-Dokumentation beim NDR: Das weiße Chaos – Die Schneekatastrophe: Erinnerungen und Lehren (Sonntag, 17. Januar 2010, 13.00 Uhr). Eine weitere Dokumentation findet sich bereits bei Google Video (Protokoll einer Katastrophe: Das Schneechaos 1978), ebenso wie ein Zusammenschnitt mehrere Nachrichtensendungen vom Jahreswechsel 1978/79.

Ergänzend noch ein Beitrag auf Frankfurt Story über den frostigen Winter 1962/63 und den Schlagzeilen der Frankfurter Rundschau während dieser Zeit: Der Main friert zu.


Quelle: siehe Links
Bilder: Mit freundlicher Genehmigung vom Rüganer Egon Nehls
(ENDE) geschichtspuls/07.01.2009/mar – zuletzt aktualisiert am 06.01.2016

8 thoughts on “Katastrophenwinter 1978/79: Im Schnee versunken

  1. dani

    Wenn man das so liest: Sollen sich die Menschen jetzt mal nur nicht so aufregen. Ist doch noch alles im Rahmen des Normalen.

  2. Pingback: TV-Doku: Winterschlacht in der DDR – Das Ringen um die Braunkohle (Phoenix) | GeschichtsPuls

  3. Thomas

    Schade, die Sendung habe ich verpasst. Aber schon krass, wie der Winter damals war. Da muss ich mich dani anschließen, denn jetzt liegt ja nun wirklich nicht übermäßig viel Schnee und da muss sich nun wirklich keiner aufregen.

  4. Marcell

    Ich kann mich da nur anschließen. Ich finde auch, dass viele Menschen einfach zu heftig auf den Winter reagieren. Klar ist es nicht so einfach auf Eis und Schnee Auto zu fahren, aber es ist machbar, wenn man seine Fahrweise anpasst. Ich finde, dass sich die Leute einfach beruhigen sollten. Wenn jeder vorsichtig fährt und sich an gewissen Regeln hält ist auch der Winter eine Zeit, die man sehr wohl genießen kann. Denn viel Schnee haben wir in der heutigen Zeit im Vergleich zu früheren Jahren in unserer Gegend eh nicht mehr.

  5. Dirk

    Es gibt doch nichts Schöneres als den Winter. Ich weiß gar nicht was ihr denn alle habt. Also bitte. Man fährt doch da genauso Auto wie im Sommer.
    Ich weiß nicht, ob ihr gestern oder die letzten Tage ferngesehen habt oder die Zeitung gelesen. Das war ja mal krass. Da ist ein 23jähriger mit seinem Auto in eine Kirche geflogen. Das schiebt man jetzt auch wieder auf den Winter. Es war zwar glatt, aber er ist doch selber schuld, wenn er mit über 100 in der Ortschaft dahinfährt. Das kann man nicht auf den Winter schieben.

  6. Pingback: Vor-Berichterstattung zum Wintertief Daisy erinnert an Katastrophenwinter 1978/79 (+ Twitter-Rieseln) « Blick Log

  7. Joss

    Falls dieser Tipp hier Okay ist, und was tun wenn es draussen zu kalt ist:
    die oesterr. Nationalbibliothek hat einen digitalen Lesesaal auf dem Zugang ist zu digitalisierten
    Zeitungen und Zeitschriften aus alter Zeit. Ziemlich einzigartig das Ganze, auch sehr gut gemacht.
    Da kann man sich ansehen, was die Medien mal so „verbrochen“ haben, was sie wie berichtet haben
    usw. . International bekannt ist auch die Digitalisierung von Karl Kraus. Zugang ist gratis.
    http://www.onb.ac.at/bibliothek/digitaler_lesesaal.htm

  8. Pingback: Biosprit schädlicher als herkömmliches Benzin : Seite 6 : Dann klär uns weltfremden doch bitte mal auf, wie sich die Str...

Comments are closed.