Vor 20 Jahren: Generalprobe für Montagsdemonstrationen

By | 15. Januar 2009

Am 15. Januar 1989 demonstrierten in Leipzig zwischen 200 (Stasi) und 800 (Opposition) Demonstranten für Reformen und mehr Demokratie sowie gegen die Verhaftung mehrerer Regimekritiker. Zwar wurde der Protestzug bereits nach wenigen hundert Metern von Polizeikräften zerstreut, doch ein erstes Ausrufezeichen war gesetzt. Statt der sonst nur einigen Dutzend „staatsfeindlichen“ Protestler beteiligten sich diesmal hunderte. Der Funke zum Volk war übergesprungen – der Wille zum Protest stärker als die Angst vor staatlichen Repressionen.
20 Jahre Mauerfall Im Nachhinein interessant zu lesen ist da auch die Beurteilung des Vorfalls durch das Ministerium für Staatssicherheit. Zur eigentlichen Demonstration hieß es dazu in einer internen Information:
„Am 15. Januar 1989, nach 16.oo Uhr rotteten sich ca. 150 – 200 Personen vor dem Untergrundmessehaus im Stadtzentrum von Leipzig zusammen. Durch eine männliche Person wurde ein vorbereiteter Text verlesen, in dem zur Teilnahme an dem in den Hetzflugblättern angekündigten Schweigemarsch aufgerufen wurde. Danach setze sich diese Personengruppierung in Richtung Neues Rathaus in Bewegung. Es wurden keine Symbole mitgeführt. Da die Teilnehmer den wiederholten Aufforderungen der Deutschen Volkspolizei nach Auflösung des Marsches nicht Folge leisteten, erfolgte durch die Schutz- und Sicherheitsorgane die Zuführung von insgesamt 53 Personen.
(Die 53 Festgenommenen wurden noch am gleichen Tag wieder entlassen.)


Im Zusammenhang mit der am gleichen Tag stattgefundenen Unterzeichnung des Abschlussdokumentes der KSZE-Folgekonferenz in Wien – in dem sich die DDR u.a. zur Zulassung von Bürgerrechtsgruppen verpflichtete – machte man sich beim MfS seine Gedanken über die Außendarstellung der Demonstrationsauflösung in Leipzig. Mit Erleichterung wurde dabei sicherlich aufgenommen, dass „Korrespondenten aus dem nichtsozialistischen Ausland“ im Handlungsraum nicht festgestellt wurden. Allerdings konnte „streng internen Hinweisen“ zufolge ein dem „MfS bekannter Organisator politischer Untergrundtätigkeit“ das Mitglied der Partei Die Grünen in der BRD, Gerd Bastian, sowie den „in Westberlin ansässigen Inspirator feindlicher Aktivitäten gegen die DDR„, Roland Jahn, über die Leipziger Aktion informieren.
Die gesamte Information „über Aktivitäten feindlich-negativer Kräfte in Leipzig im Zusammenhang mit dem 70. Jahrestag der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg“ kann online bei der BStU eingesehen werden (Linktipp!). Im Anhang befindet sich dabei auch der Protestaufruf an alle Bürger der Stadt Leipzig. Darin heißt es unter anderem:
„70. Jahrestag der Ermordung zweier Arbeiterführer – Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, und wieder werden tausende Werktätige verpflichtet, einer Kundgebung ‚beizuwohnen‘, bei der die Redner die jährlich wiederkehrenden Ansprachen halten.
(…)
Der Tag der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht soll uns Anlass sein, weiter für eine Demokratisierung unseres sozialistischen Staates einzutreten. Es ist an der Zeit, mutig und offen unsere Meinung zu sagen: Schluss mit der uns lähmenden Teilnahmslosigkeit und Gleichgültigkeit…“

Mehr zur Demonstration vom 15. Januar 1989:
Generalprobe für die Revolution (einestages.de)
15. Januar 1989: Demo für Reformen und Demokratie in der DDR (Museum Runde Ecke Leipzig)
Ein Aufruf zur Gegendemo führt zur Verhaftung von Oppositionellen (Der Tagesspiegel)

Quelle: siehe Links, insbesondere BStU
(ENDE) geschichtspuls/15.01.2009/mar

2 thoughts on “Vor 20 Jahren: Generalprobe für Montagsdemonstrationen

  1. Andreas

    Ich kenne diese Zeit nur aus den Erzählungen von meinen Eltern und Großeltern, ich war damals noch im Kindergartenalter und habe davon noch nichts mit bekommen. Doch es muss eine spannende Zeit damals gewesen sein. Es ist klasse, dass man auch von anderer Seite etwas darüber hört. Man kann sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass die Proteste so schnell aufgelöst wurden.

  2. Uwe

    An diesem Tag war ich dabei……..auf Seiten der damaligen Deutschen Volkspolizei. Diese für mich erste Demo in Leipzig wurde damals bekannt, dass die eigentlich geplante Demo in Berlin, bei der Staatssicherheit, mit Ort und Zeit in Berlin bekannt wurde und die Demo von Berlin nach Leizig verlegt wurde.
    Vor dem Leipziger Hauptbahnhof wurden die Demonstranten erwartet und der Versuch unternommen, die Demo schon vor Beginn des Marsches zu verhindern…..Auf Grund der anwesenden Kräfte der “ Volkspolizei “ wurde aus den Demonstrationszug ein Sternmarsch durch die anwesenden Demonstranten…zur totalen Überraschung der “ Volkspolizei „. Es kamen die ersten Befehle zur gewaltsamen Auflösung des Demonstrationszuges……es wurde angewiesen, dass ein Funkstreifenwagen der “ Volkspolizei “ mit hoher Geschwindigkeit in den Demonstrationszug einfahren soll….trotz das erkennbar Kinder, Frauen und Männer im Zug waren…..Der Funkstreifenwagen vollzog diese Weisung, wobei niemand verletzt wurde, aber nur auf Grund der Planung und schnellen Reaktion der Teilnehmer im Demonstrationszug…..der Funkstreifenwagen fuhr ins “ Leere „. Was danach passierte….überschritt meine Vorstellung, wobei der Bericht der Staatssicherheit an diesem Tage nicht der Wahrheit entspricht…..das Erleben an diesem Tag…….erinnerte mich sofort an den Film “ Ernst Thälmann, Sohn seiner Klasse „……..denn als “ Wir “ , die “ Volkspolizei “ die Demonstranten durch die Straßen “ jagten “ wurden “ Wir “ , die “ Volkspolizisten “ aus den Fenstern, der angrenzenden Häuser mit Blumentöpfen beschossen…….Das war für meine Person, die “ Erste Demonstration “ und “ Erste “ offene gewaltsame “ Auflösung “ einer friedlichen Demonstration.

Comments are closed.