Mit der irrtümlichen Meldung über die bereits geöffnete innerdeutsche Grenze sorgten die Westmedien für einen Ansturm zehntausender DDR-Bürger, der die Mauer zum Einsturz brachte. Damit seien die Medien unbeabsichtigt die wahren Helden des 9. November 1989, meint der Potsdamer Historiker Hans-Hermann Hertle.
Die Westmedien, besonders die „Tagesthemen“ haben einen wesentlichen Anteil daran, dass die Berliner Mauer in den späten Abendstunden des 9. November 1989 fiel. Diese These vertritt der Historiker Hans-Hermann Hertle vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam in der aktuellen Ausgabe des Leibniz-Journals. Der Fall der Mauer sei damit das erste welthistorische Ereignis, das als Folge seiner vorauseilenden Verkündung in Fernsehen und Hörfunk eintrat.
Hertles These basiert auf einer neuen Rekonstruktion der zeitlichen Abläufe am 9. November 1989. Ausgangspunkt ist die berühmte Pressekonferenz, auf der das Mitglied des Zentralkomitees der SED, Günter Schabowski, am frühen Abend irrtümlich die „sofort und unverzüglich“ in Kraft tretenden neuen Reiseregelungen für DDR-Bürger verkündete. Diese hätten ursprünglich erst ab dem folgenden Tag und nach vorheriger Antragstellung gelten sollen.
Im Anschluss an die Pressekonferenz sei es zwischen verschiedenen Nachrichtenagenturen zu einem Deutungswettlauf hinsichtlich Schabowskis Ankündigungen gekommen. Er gipfelte darin, dass Tagesthemen-Moderator Hanns Joachim Friedrichs die Sendung mit den Worten „Die Tore in der Mauer stehen weit offen“ anmoderierte. Dies führte bei den Fernsehzuschauern zu der Illusion, die Grenzübergänge seien bereits offen. In Folge der Tagesthemen – und nicht bereits nach Schabowskis Pressekonferenz knapp vier Stunden zuvor – seien dann zehntausende DDR-Bürger zu den geschlossenen Grenzübergängen geströmt. Deren Bewacher hätten schließlich angesichts des Drucks der Massen die Übergänge öffnen müssen.
Hertles Schlussfolgerung daraus lautet: „Eine Fiktion der Medien ergriff die Massen und wurde dadurch Realität“. In der Folge dieser Ereignisse sei die DDR-Führung nie mehr Herr der Lage gewesen.
Das Hertle-Interview im Wortlaut ist im Heft 3/2009 des Leibniz-Journals zu finden, das im Internet als PDF-Dokument unter www.leibniz-gemeinschaft.de/journal verfügbar ist. Das Heft steht diesmal unter dem Schwerpunktthema „1989-2009: Zwei Welten begegnen sich“. Eine ausführliche Rekonstruktion der Vorgeschichte und Hintergründe der Ereignisse am 9. November hat Hans-Hermann Hertle in seinem Buch „Chronik des Mauerfalls. Die dramatischen Ereignisse um den 9. November 1989“ (11. erweiterte Auflage 2009) vorgelegt.
Quelle: Leibniz-Gemeinschaft
(ENDE) geschichtspuls/08.10.2009/mar