Deutsch-Deutsche Teilung

1967: Bundesregierung liest jetzt Post aus der DDR

By | 15. Mai 2014

Am 17. Mai 1967 fasste das Bundeskabinett in Bonn einen heute etwas kurios anmutenden Beschluss: Ab sofort wolle die Bundesregierung alle an sie gerichteten Schreiben von Mitgliedern der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik annehmen, öffnen und auch lesen. Zuvor war es allen Dienstellen der Regierung im Allgemeinen untersagt gewesen, offizielle Schreiben aus der DDR entgegenzunehmen. Solche Postsendungen sollten als „unzustellbar“ zurückgeschickt oder in den Papierkorb entsorgt werden.

Briefkasten

Der Grund für diesen Richtungswechsel ist in einem Schreiben des damaligen DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph vom 10. Mai 1967 zu suchen. Er spielte darin auf eine wenige Tage zuvor abgegebene Erklärung von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger an. Dieser hatte angekündigt, dass sich die Bundesregierung in der Deutschlandpolitik für praktische Schritte einsetzen wolle, „um die Not der Spaltung unseres Volkes zu erleichtern“. Man wolle „entkrampfen und nicht verhärten, Gräben überwinden und nicht vertiefen“. Angesichts dieser Äußerungen erwies es sich als schwierig, Stophs Schreiben zu ignorieren. Zudem vertrug sich die bisherige Praxis auch nicht mehr mit dem inzwischen offiziell erklärten Willen, in der erstarrten Ostpolitik neue Wege zu gehen.
Das Protokoll der Kabinettssitzung vom 17. Mai 1967 ist auf der Webseite des Bundesarchivs einsehbar: Tagesordnungspunkt [A.] – Stoph-Brief
Nachdem die Bundesregierung somit „die faktische Existenz der DDR erstmals anerkannt und sich von selbstauferlegten Fesseln befreit“ hatte – wie der Mannheimer Historiker Hermann Weber meinte – kam es in den Folgemonaten sowohl auf Regierungs- als auch auf Ministeriumsebene zu einem regen „postalischer Dialog“. Doch im Oktober war erst einmal wieder Schluss mit dem Postverkehr wegen „unüberbrückbarer Diskrepanzen“: Während Stoph die offizielle Anerkennung der DDR forderte, weigerte sich Kiesinger rundum, deren Existenz überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Das blieb den nachfolgenden Kanzlergenerationen vorbehalten.

Quellen: Bundesarchiv, Mitteldeutsche Zeitung, Neues Deutschland vom 19. Mai 1967 („Bonn will realen Vorschlägen ausweichen“)
(Ende) geschichtspuls/16.05.2014/mar