Am 13. November 1989 ergriff Stasi-Chef Erich Mielke in der Volkskammer das Wort und sorgte mit dem Satz „Ich liebe doch alle Menschen!“ für unfreiwilliges Gelächter. Im gesamten Ministerium für Staatssicherheit (MfS) löste Mielkes Rede dagegen offenbar blankes Entsetzen aus, wie jetzt vorgelegte Unterlagen aus den Stasi-Archiven zeigen. Ungewohnt offen bezeichneten Stasi-Mitarbeiter ihren obersten Chef als „senil und unfähig“ und als Gefahr für das Ansehen des MfS in der Bevölkerung.
(Die gesamte Rede gibt es auch noch mal als Audi-Datei bei der
Bundesbehörde für die Unterlagen der Staatssicherheit (BStU))
Tatsächlich erklärte Mielke in seiner unvorbereiteten Rede den Abgeordneten, dass der Staatssicherheitsdienst auftragsgemäß und realitätsnah die SED-Führung über die Situation im Lande unterrichtet habe. Seine damit geäußerte Kritik an der Parteiführung, die diese Analysen im politischen Handeln unberücksichtigt gelassen habe, wurde jedoch kaum wahrgenommen. Im Bewusstsein der Öffentlichkeit überdauert Mielkes Auftritt als lächerlich und zugleich als Verhöhnung der Opfer.
Anders sah die Reaktion offenbar innerhalb des Stasi-Apparates aus: Am Tag danach äußerten sich die Mitarbeiter der Kreisdienststelle Gardelegen (Bezirk Magdeburg) während einer Dienstversammlung, wie es noch kurze Zeit vorher undenkbar war:
„Einzuschätzen ist, dass durch das unqualifizierte Auftreten des Genossen Minister unsere Position im Staat und Volk weiter geschwächt worden ist.“
„Die Rede des Gen. Mielke war nicht im Interesse des MfS. Das hätte verhindert werden müssen.“
„Was ist im Ministerium los?“
„Ich bin nicht mehr bereit, mich durch den Genossen Mielke befehligen zu lassen. (…) Der Gen. Mielke ist senil und unfähig, seine Funktion auszuüben. Das Ansehen des MfS schwindet weiter rapide.“
Gleichzeitig machen sich die Mitarbeiter der Kreisdienststelle Gardelegen auch Sorgen um ihre eigene Zukunft:
„Das MfS ist in einen Misskredit geraten. Die Grenzen sind offen, alle fahren und kommen wieder. Für die Menschen entwickelt sich eine Perspektive. Wir als Mitarbeiter des MfS hängen in der Luft. Wie hilft man uns?“
„Wenn man die Volkskammersitzung am 13. November 1989 verfolgt hat, kann man eindeutig feststellen, dass wir durch Demagogen regiert worden sind. Bei uns selber und den IM bricht eine Welt zusammen, da wir ja eigentlich durch unsere Arbeit Demagogie und Korruption geschützt haben. Dazu werden wir uns sicherlich noch zu verantworten haben…
Alle Wortmeldungen in der Dienstversammlung der Kreisdienststelle Gardelegen vom 14. November 1989 finden sich bei der Bundesbehörde für die Unterlagen der Staatssicherheit (BStU): Dienstversammlung der KD Gardelegen am 14. November 1989.
Quelle: BStU
(ENDE) geschichtspuls/11.11.2009/mar
Sehr interessanter Geschichts“fetzen“, aber es zeigt sich wie schnell die Macht der Stasi in dieser Zeit erodierte…