Neuerscheinung

Erster Weltkrieg: Indische Gefangene in Deutschland

By | 19. März 2014

Kurz notiert: Über ein interessant erscheinendes Buch bin ich dieser Tage beim Berliner Zentrum Moderner Orient (ZMO) gestolpert: „Soldat Ram Singh und der Kaiser. Indische Kriegsgefangene in deutschen Propagandalagern 1914-1918“. Im Mittelpunkt des Sammelbands stehen die Erlebnisse indischer Kriegsteilnehmern, die in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten. Klingt nach einem spannenden Thema…

Halbmondlager Wünsdorf/Zossen (1916) Das Halbmondlager Wünsdorf/Zossen südlich von Berlin (um 1916)

Anlässlich des bevorstehenden 100. Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges findet die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ eine breite öffentliche Aufmerksamkeit. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem Fragen nach Kriegsursachen und Kriegsschuld, Kriegsverlauf, technische Neuerungen im Kriegshandwerk oder die Auswirkungen des Krieges auf einzelne Regionen. Der damalige Kolonialismus oder gar eine außereuropäische Perspektive kommen vielfach zu kurz. Dabei führte die globale Natur des Weltkrieges unter anderem dazu, dass sich beispielsweise über eine Million indischer Soldaten – allzu oft als Kanonenfutter – auf den Schlachtfeldern von Mesopotamien/Vorderasien und auch Flandern wiederfanden. Ihre Erinnerungen sind in Deutschland bisher kaum Gegenstand öffentlicher Debatten.
Dem nun zu dem Thema vorliegenden Buch zufolge gerieten etwa zweitausend Inder, meistens Seeleute und Soldaten aus Dörfern in Bengalen, Nepal und dem Punjab, auf unterschiedlichen Wegen in deutsche Kriegsgefangenenschaft. Dort erregten sie – wie andere nichteuropäische Gefangene auch – zum einen die Aufmerksamkeit von deutschen Künstlern, Wissenschaftlern und auch Industriellen. Zum anderen rückten sie schnell in den Fokus von Armeeoffizieren, Diplomaten und Geheimagenten und wurden zu einer Zielscheibe der deutschen Orientstrategie. Sowohl deutsche Propagandisten als auch indische Exil-Revolutionäre versuchten die Gefangenen im antikolonialen Sinn zu indoktrinieren, um sie zu Revolten in den Kolonien der Entente anzustiften. Die Kriegsgefangenen ihrerseits suchten wiederum nach Wegen, um die neue Situation zu bewältigen und ihre Begegnungen mit Deutschland und den beteiligten Akteuren in eigenem Sinne zu gestalten.
Die Beiträge des Buches gehen diesen vielschichtigen und oft schwierigen Auseinandersetzungen aus unterschiedlichen Perspektiven nach. Darüber hinaus werden relevante Quellen aus deutschen Archiven vorgestellt, die die Situation der indischen Kriegsgefangenen während des Ersten Weltkrieges beleuchten.

Übersicht der Beiträge:

  • Ravi Ahuja: Vergessene Konfrontationen. Südasiatische Soldaten in deutscher Kriegsgefangenschaft, 1915-1918.
  • Franziska Roy: Zwischen Zwangsarbeit und „Kollaboration“. Südasiatische Zivilgefangene in deutschen Kriegsgefangenenlagern.
  • Heike Liebau: Das Deutsche Auswärtige Amt. Indische Emigranten und propagandistische Bestrebungen unter den südasiatischen Kriegsgefangenen im „Halbmondlager“.
  • Christian Koller: Deutsche Wahrnehmungen feindlicher Kolonialtruppen.
  • Britta Lange: „Wenn der Krieg zu Ende ist, werden viele Erzählungen gedruckt werden.“ Südasiatische Positionen und europäische Forschungen im „Halbmondlager“.
  • Jürgen-K. Mahrenholz: Südasiatische Sprach- und Musikaufnahmen im Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin.
  • Margot Kahleyss: Indische Kriegsgefangene im 1. Weltkrieg – Fotografien als Quellenmaterial.
  • Heike Liebau: Hindostan. Eine Zeitung für südasiatische Kriegsgefangene in Deutschland 1915-1918.
  • „Soldat Ram Singh und der Kaiser. Indische Kriegsgefangene in deutschen Propagandalagern 1914-1918“, hrsg. von Franziska Roy, Heike Liebau, Ravi Ahuja, erschienen 2014 im Draupadi Verlag Heidelberg, ISBN 978-3-937603-84-1, 342 Seiten mit 27 Abbildungen zum Preis von 24,80 Euro.

    Quelle: Zentrum Moderner Orient / Draupadi Verlag
    (Ende) geschichtspuls/18.03.2014/mar