Am 28. Juni 1914 ermordet ein junger serbischer Nationalist in Sarajewo den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Ehefrau – und legte gleichzeitig die Zündschnur an das „Pulverfass Europa“: Das deutsch-französische Wettrüsten, die Flottenrivalität mit Großbritannien, die offensive Balkanpolitik Russlands, das übersteigerte Vertrauen in die eigene militärische Überlegenheit sowie die enge Verknüpfung des Deutschen Reiches mit Österreich – unterstützt durch den Hunger nach globaler Geltung und nationalem Stolz – gipfelten in der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, dem Ersten Weltkrieg.
Dieser Beitrag ist Teil einer kleinen Serie über den Ersten Weltkrieg:
1. – Der Erste Weltkrieg 1914-1918
2. – Erster Weltkrieg: Der Kriegsbeginn in der Zeitung, Teil I
3. – Erster Weltkrieg: Der Kriegsbeginn in der Zeitung, Teil II
4. – Erster Weltkrieg: Der Kriegsbeginn in der Zeitung, Teil III
5. – Materialsammlung: Informationen zum Ersten Weltkrieg im Internet (in Vorbereitung)
Österreichs Kriegserklärung an Serbien am 28. Juli 1914 setzte über die verschiedenen Bündnisverträge und Beistandspakte einen Automatismus der Mobilmachung unter den europäischen Großmächten in Gang. Ab 1. August befand sich das Deutsche Reich im Kriegszustand und Kaiser Wilhelm II. rief sein Volk zu den Waffen.
Viele rechneten mit einem schnellen Waffengang. „Zu Weihnachten sind wir wieder zu Hause“, „Auf einen Kaffee nach Paris“ – solche Sätze zeigen die gutgläubige und auch begeisterte Einstellung der jungen Männer, die sich mit den Erinnerungen an den schnellen Sieg im deutsch-französischen Krieg 1870/71 auf den Weg an die Fronten machten. Doch der von der deutschen Heeresführung angestrebte rasche Bewegungskrieg erstarrte schon nach wenigen Wochen in einem erbittert geführten Stellungskrieg. Die einsetzende britische Seeblockade machte in der Heimat die Importabhängigkeit der deutschen Wirtschaft deutlich. Angesichts der nicht mehr absehbaren Dauer des Krieges wuchs die Gefahr, den Alliierten mangels ausreichenden Nachschubs an Munition und Waffen zu unterliegen. Schon ab August 1914 gab es daher Bemühungen, wichtige Produkte und deren Rohstoffe zentral zu bewirtschaften.
Französischer Einsatz von Giftgas und Flammenwerfern gegen deutsche Stellungen in Flandern (1916)
(pd/wikipedia)
Chateauwald bei Ypern nach intensiven Artilleriebombardements (1917)
(pd/Australian War Memorial)
Die Wirtschaftssteuerung wurde in den folgenden Monaten kontinuierlich ausgeweitet, unter anderem auch auf die Nahrungsmittelversorgung. So gab es ab Januar 1915 die erste Brotrationierung in Berlin, im Juni dann im ganzen Reich. Im Mai 1916 wurde das Kriegsernährungsamt gegründet, doch auch dieses konnte der vor allem durch den „Kohlrübenwinter 1916/17“ symbolisierten tiefgreifenden Versorgungskrise wenig entgegensetzen. Der Mangel an landwirtschaftlichen Arbeitskräften, Kunstdünger, Transportkapazitäten und Zugtieren drückte die Ernteerträge. In der Folge sank beispielsweise die Kartoffelproduktion von 52 Millionen Tonnen (1913) auf 29 Millionen Tonnen (1918), die Getreideernte verringerte sich von 27,1 Millionen Tonnen (1914) auf 17,3 Millionen Tonnen (1918). Vor allem in den Städten waren die Menschen vom Hunger betroffen – allein in Deutschland starben zwischen 1914 und 1918 über 750.000 Menschen an den Folgen von Hunger und Unterernährung.
Sparappelle („Sammelt Obstkerne zur Ölgewinnung!“, „Ausgekämmtes Frauenhaar – Ein wichtiger Kriegsrohstoff!“) und der zunehmende Einsatz von Ersatzstoffen bestimmten den Alltag. Brot wurde mit Kartoffelmehl, Mais und anderen Beimischungen „gestreckt“, bei Kaffee griff man auf Kartoffelkleie zurück, Kleidung wurde mangels Schur- und Baumwolle aus Brennnesseln oder Papierfasern hergestellt.
Novemberrevolution und Kriegsende
Am Mittag des 11. Novembers 1918 verstummte schließlich das Trommelfeuer auf den Schlachtfeldern – nach vier Jahren Materialschlacht, endete der Erste Weltkrieg mit der deutschen Kapitulation. Der Blutzoll war hoch. Insgesamt forderte die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ das Leben von rund 15 Millionen Menschen, darunter sechs Millionen Zivilisten. Auf deutscher Seite starben mehr als zwei Millionen Soldaten. Mehr als 20 Millionen Menschen wurden verwundet.
Gleichzeitig markierte das Kriegsende auch das Ende des alten Europas und die endgültige Ablösung der monarchischen Staatsform durch die republikanische. Bereits am 29. Oktober 1918 hatten Matrosen der Hochseeflotte in Kiel und Wilhelmshaven angesichts eines letzten „ehrenvollen“ Gefechts gegen britische Verbände den Gehorsam verweigert. Innerhalb weniger Tage breitete sich der Matrosenaufstand wie ein Flächenbrand im Deutschen Reich aus und sprang auch auf die Arbeiterschaft über. Neben die militärischen treten politische Forderungen; vor allem der Ruf nach Abdankung des Kaisers wurde dabei lauter. Am 9. November erklärte Reichskanzler Prinz Max von Baden ohne Rücksprache mit Wilhelm II. dessen Thronverzicht; gleichzeitig ernannte er den Parteivorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Friedrich Ebert, als Führer der stärksten Reichstagspartei zum neuen Reichskanzler. Zwei Tage später, dem Tag der Unterzeichnung des Waffenstillstands, ging Wilhelm II. ins Exil in die Niederlande und Philipp Scheidemann rief vom Fenster des Berliner Reichstages die (Weimarer) Republik aus.
(ENDE) geschichtspuls/27.07.2009/mar (zuletzt aktualisiert am 28. Juli 2014)
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Schon der Vergleich der Daten sollte Skepsis erzeugen gegenüber der Aussage, die Schüsse von Sarajewo hätten den I. Weltkrieg verursacht: am 28. Juni war das, einen Monat später griff Österreich Serbien an, obwohl dieses ein Ultimatum Wiens fast vollständig erfüllt hatte.
Was war in der Zwischenzeit geschehen außer dem üblichen österreichischen Schlendrian?
Man hatte die deutsche Regierung befragt, ob sie Österreich beistehen werde. Dass Wien ohne Berliner Blankovollmacht nie an Krieg denken konnte, sieht man schon daran, dass seine Armee noch nicht einmal das kleine Serbien ohne deutsche Hilfe besiegen konnte.
In Berlin liegt die Schlüsselursache für den Krieg: die deutsche Militärführung wollte jetzt(!) Krieg führen, weil sie fürchtete, dass die Gegenseite (Frankreich, Russland) in drei Jahren so stark gerüstet sein würde, dass Deutschland nicht gewinnen konnte. Wien erhielt eine Blankovollmacht für den Angriff auf Serbien, obwohl man wusste, dass dessen Bündnispartner Russland das mit Krieg beantworten würde.
Dass Deutschland die Hauptkriegsschuld trägt, sieht man schon allein daran, dass die deutschen Truppen längst an der belgischen und luxemburgischen Grenze aufmarschiert waren und gemäß überarbeitetem Schlieffen-Plan am 2.-4. August einmarschieren konnten. Dass Deutschland Russland und Frankreich den Krieg erklärt hat, obwohl keiner von beiden Österreich angegriffen hatte, ist in vielen deutschen Köpfen bis heute nicht angekommen.
Die Schüsse von Sarajewo waren nur ein willkommenes Alibi für die, die Deutschland mit allen Mitteln zur „Weltmacht“ machen wollten.
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Hmm, also Deutschland die alleinige Kriegsschuld bzw. die Hauptkriegsschuld zuzuschreiben, halte ich für eine zweifelhafte Behauptung. Die Verstrickungen sind doch viel komplizierter als sie auf den ersten Blick scheinen. Vielleicht wäre ein Blick in einschlägige Fachliteratur (die es zu genüge gibt) doch nochmal sinnvoll, denn so einfach wie „Deutschland hat schließlich Russland und Frankreich den Krieg erklärt“ ist es halt nicht.
Übrigens: Mit „Sturz der Titanen“ ist Ken Follet eine – meiner Meinung nach – hervorragende und differenzierte „literarische“ Bearbeitung des Themas gelungen. Die Anführungszeichen nur, weil man Ken Follet eigentlich nicht als literarisch bezeichnen kann, er ist und bleibt Unterhaltungsschriftsteller. Aber sein neuester Roman zum ersten Weltkrieg ist historisch gesehen wirklich glaubwürdig.
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