Mal wieder ein kleiner Blick über die zeitliche Begrenzung dieses Blogs hinaus: Wie Forscher jetzt festgestellt haben, finden sich im Erbgut des heutigen Menschen auch Spuren des Neandertalers. Das legt nahe, dass sich beide Arten vor Jahrtausenden tatsächlich gekreuzt haben und der Neandertaler somit höchstwahrscheinlich doch zu den Vorfahren des modernen Menschen zählt.
Fast zehn Jahre nach Entschlüsselung des Genoms des Homo sapiens präsentiert eine internationale Forschergruppe nun erstmals die Gensequenz eines ausgestorbenen Hominiden, der zudem der engste ausgestorbene Verwandte des Menschen ist. „Der Vergleich dieser beiden Gensequenzen gibt uns die Möglichkeit zu erfahren, wo wir uns in unserem Genom von unseren nächsten Verwandten unterscheiden“, erklärt Svante Pääbo, Direktor der Abteilung für Evolutionäre Genetik des Max-Planck-Institutes für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
Bis zu 4 Prozent Neandertaler-Erbgut
Ein erster Vergleich der beiden Sequenzen habe nun erste aufregende Entdeckungen zutage gefördert. Anders als von vielen Forschern vermutet, hätten sich Neandertaler und der frühe moderne Mensch offensichtlich doch vermischt. Im Genom einiger heute lebender Menschen stammen nach Berechnungen der Forscher ein bis vier Prozent der DNA vom Neandertaler. „Diejenigen von uns, die außerhalb Afrikas leben, tragen ein kleines bisschen Neandertaler in sich“, so Pääbo weiter.
Für die Analyse sequenzierten die Forscher zusätzlich fünf menschliche Genome europäischer, asiatischer und afrikanischer Abstammung und verglichen diese mit dem Neandertaler-Genom. Erstaunlicherweise hat der Neandertaler demnach ein wenig mehr genetische Gemeinsamkeiten mit den Menschen außerhalb Afrikas als mit den Afrikanern. Zugleich entspreche das Neandertaler-Genom der Sequenz von Europäern im gleichen Ausmaß wie der von Ostasiaten. Das sei auf den ersten Blick verwunderlich, da bis heute keine Überreste von Neandertalern in Ostasien gefunden wurden. Sie lebten vielmehr in Europa und Westasien.
Doch die Forscher haben eine einleuchtende Erklärung für ihre Ergebnisse. „Neandertaler haben sich wahrscheinlich mit frühen modernen Menschen vermischt bevor Homo sapiens sich in Europa und Asien in verschiedene Gruppen aufspaltete“, mutmaßt Svante Pääbo. Dies wäre in einem Zeitraum zwischen 100.000 bis 50.000 Jahren im Mittleren Osten möglich gewesen, noch bevor die menschliche Population sich über Eurasien ausgebreitet habe. Aus archäologischen Funden wisse man, dass damals Neandertaler und Menschen dieselbe Region bewohnten.
Vorteilhafte Unterschiede
Abgesehen von der Frage, ob Neandertaler und Homo sapiens sich vermischt haben, gilt das Hauptinteresse der Forscher Genbereichen, die den Menschen von seinem nächsten Verwandten unterscheiden und ihm vielleicht Vorteile im Laufe der Evolution einbrachten. Die Wissenschaftler um Pääbo haben nach eigenen Angaben bereits einige Regionen mit Genen entdeckt, die möglicherweise eine wichtige Rolle in der menschlichen Evolution spielten. So fanden sie Gene, die mit kognitiven Funktionen, mit dem Stoffwechsel und mit der Entwicklung von Schädel, Schlüsselbein und Brustkorb zusammenhängen. Doch erst genauere Analysen werden Rückschlüsse über den tatsächlichen Einfluss dieser Gene zulassen.
Verschmutzte Neandertaler-DNA
Hintergrund: Den Großteil der DNA für ihre Untersuchung gewann das Forschungsteam aus insgesamt 400 Milligramm Knochenpulver aus Knochen dreier weiblicher Neandertaler, die in einer Höhle in Kroatien ausgegraben wurden und dort vor mehr als 38.000 Jahren lebten. Das Genom einer vor Zehntausenden von Jahren ausgestorbenen Art zu sequenzieren ist eine ganz besondere Herausforderung. Im Laufe der Zeit ist die DNA zu winzigen Fragmenten zerfallen und zum Teil chemisch verändert. Hinzu kommt das Problem der Verunreinigung durch Bakterien und Mikroorganismen, die den Neandertaler nach seinem Tod besiedelten. Zudem erschwert auch menschliche DNA, die bei der Ausgrabung oder im Labor in die Probe gelangt, die Identifizierung der Neandertaler-DNA.
Mehr zum entschlüsselten Neandertaler-Erbgut:
A Draft Sequence of the Neandertal Genome (ausführlicher Artikel im „Science“-Magazin vom 7. Mai 2010)
The Neandertal Genome (Special des „Science“-Magazins, unter anderem mit einem Video-Kommentar von Svante Pääbo)
Erbgut entschlüsselt: Wir sind alle ein bisschen Neandertaler (Spiegel Online)
Frühmenschen-Genom: In jedem Menschen steckt etwas Neandertaler (stern.de)
Wir sind alle ein bisschen Neandertaler (Welt Online)
Neandertaler-Artikel bei wikipedia
Der Neandertaler (planet-wissen.de)
Quelle: Max-Planck Gesellschaft
(Ende) geschichtspuls/07.05.2010/mar
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