Brav, strebsam und lernwillig? Oder aufsässig, faul und disziplinierungsbedürftig? Wie wurden die Kinder dargestellt, die in der ehemaligen DDR in den Unterstufenklassen unterrichtet und erzogen wurden? Mit dieser und anderen Fragen befasst sich ein neues bildungshistorisches Forschungsprojekt an der Universität Würzburg.
Zentrale Quellengrundlage des Forschungsprojektes ist die Lehrerzeitschrift „Die Unterstufe“. Sie fungierte als Ratgeber für die Gestaltung des Unterrichts in der Unterstufe, also in den unteren vier Jahrgängen der Schule in der DDR. Durch ihre thematische Ausrichtung besaß die Zeitschrift eine Monopolstellung; fast alle Lehrkräfte der Unterstufe hatten sie abonniert. Die darin enthaltenen Beiträge gaben handfeste Hilfestellungen für den Unterricht und informierten die Lehrer über neueste schulpolitische Entscheidungen. Sie transportierten aber auch Vorstellungen über Schulkinder, die in dem Würzburger Projekt nun aus bildungshistorischer Sicht auch in ihrem Wandel untersucht werden sollen.
Zwischen politischen Idealen und pädagogischen Überzeugungen
„Das ideale Schulkind der Zeitschrift scheint ersten Ergebnissen zufolge ein braves, hilfsbereites und stark engagiertes Wesen zu sein, so wie es wohl der Wunschvorstellung auch von heutigen Lehrkräften entspricht. Trotzdem kommen parallel zu diesem Idealkind auch Kinder vor, die als Außenseiter und problematische Fälle beschrieben werden und einer speziellen pädagogischen Behandlung bedürfen“, fasst Margarete Götz, Inhaberin des Lehrstuhls für Grundschulpädagogik und -didaktik an der Universität Würzburg, erste Erkenntnisse zusammen.
Die Darstellung der Kinder scheine sich in einem Spannungsfeld zwischen politischen Idealen und pädagogischen Grundannahmen bewegt zu haben. Während die Zeitschrift in ihren ersten Erscheinungsjahren ein eher pädagogisch geformtes Kinderbild transportiere, orientiere sie sich in der Folgezeit mehr und mehr an staatlichen, ideologiekonformen Vorgaben. Beispielsweise falle auf, dass die Schulkinder über die Jahre hinweg immer stärker zum aktiven Mitaufbau der sozialistischen Gesellschaft verpflichtet wurden – sei es durchs Sammeln von Altpapier, durch Hilfe bei der Maisernte oder beim Anlegen von Gemeindewegen.
Wie sich das Kinderbild in den Erscheinungsjahren der Zeitschrift von 1954 bis 1990 im Detail entwickelt und verändert hat, soll nun umfassend geklärt werden. Damit befasst sich Michaela Vogt in ihrer Doktorarbeit. Systematisch will sie die Ausgaben der „Unterstufe“ analysieren und dabei auch das politische, gesellschaftliche und pädagogische Umfeld berücksichtigen. So soll zum Beispiel untersucht werden, ob der Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 und andere einschneidende Ereignisse sich in der Zeitschrift widerspiegeln und mögliche Veränderungen in den Auffassungen über das Schulkind auslösen.
Einfluss der Politik auf die Redaktion
Ein weiteres Forschungsfeld innerhalb des Projektes sei die Frage, wie die Artikel durch eventuelle systemkonforme Vorgaben an die Redaktion ihren „letzten Schliff“ erhielten. „Teilweise hat es den Anschein, dass das Ministerium Beiträge kommentiert und korrigiert hat und sich diese Eingriffe auch auf das Kinderbild der Zeitschrift auswirkten“, meint Götz. Ob und in welchem Umfang das geschah, werde aber erst nach Sichtung der Akten feststehen
Bildungshistorische Forschung als Schwerpunkt
Gefördert wird das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG): Sie finanziert für zwei Jahre die Doktorandenstelle von Michaela Vogt am Würzburger Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und -didaktik sowie Sachmittel. Das neue Vorhaben reiht sich in den bildungshistorischen Forschungsschwerpunkt am Lehrstuhl ein. Dort analysiert Verena Stürmer zurzeit Erstlesewerke für Schulanfänger der DDR-Unterstufe. Privatdozent Johannes Jung hat sich in seiner jüngst abgeschlossenen Habilitationsarbeit anhand ostdeutscher Lehrpläne mit der Geschichte des Heimatkundeunterrichts in der DDR befasst.
Quelle: Universität Würzburg
Bild: Titelblatt der DDR-Lehrerzeitschrift „Die Unterstufe“ von 1958 (Repro: Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und -didaktik der Universität Würzburg)
(Ende) geschichtspuls/04.03.2011/mar