Vor zwanzig Jahren, am 15. Januar 1990, wurden in der DDR erstmals konkrete Zahlen zum Ausmaß der Stasi-Arbeit öffentlich: Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hat in den achtziger Jahren „eine totale flächendeckende Überwachungsarbeit angestrebt“ wie ein Vertreter der Regierung Modrow dem Zentralen Runden Tisch in Berlin berichtete. Die von ihm angegebenen Zahlen von knapp 200.000 hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern erwiesen sich aber als noch zu niedrig angesetzt.
Seit seiner ersten Sitzung am 7. Dezember 1989 drängte der Runde Tisch auf eine Auflösung des inzwischen in Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umbenannten DDR-Staatssicherheitsdienstes. Um sich gegen die Pläne der Regierung Modrow zu wehren, welche das AfNS als Verfassungsschutz weiterführen wollte, rief das Neue Forum für den 15. Januar 1990 zu einer Demonstration vor der noch immer arbeitenden Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg auf. Oppositionsvertreter am Runden Tisch verlangten zudem einen konkreten Bericht zum Stand der Auflösung des MfS und das persönliche Erscheinen des Ministerpräsidenten am 15. Januar.
Zahl der Stasi-Mitarbeiter übertraf Befürchtungen
Dieser Forderung kamen Hans Modrow und der stellvertretende Leiter seines Sekretariats, Manfred Sauer, nach. Modrow gab eine Erklärung ab und akzeptierte die Kontrollfunktion des Runden Tisches. Sauer berichtete über den Stand der Auflösung und machte dabei erstmals das Ausmaß der staatlichen Überwachung in der DDR bekannt: 85.000 hauptamtliche und 109.000 inoffizielle Mitarbeiter (IM) seien Ende der achtziger Jahre im Einsatz gewesen. Die Zahlen übertrafen die bisherigen Befürchtungen – und waren doch noch zu niedrig angesetzt.
Nach Angaben der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen (BStU) waren es tatsächlich 91.000 hauptamtliche und 189.000 inoffizielle Mitarbeiter (Stand vom 31. Oktober 1989). So umfassten Sauers Angaben zu den hauptamtlichen Mitarbeitern nicht die – damals bereits abgeschalteten – „Offiziere im besonderen Einsatz“ (2.232) und die Hauptamtlichen Inoffiziellen Mitarbeiter (2.118) sowie verschiedene kleinere Restgrößen. Bei den inoffiziellen Mitarbeitern seien entsprechend der MfS-Systematik nicht die „Gesellschaftlichen Mitarbeiter Sicherheit“ (GMS) und Personen, die „konspirative Wohnungen“ bereit stellten (IMK) mit erfasst worden. Schon bei Berücksichtigung dieser beiden Gruppen komme man auf 174.000 „IM“.
Angaben zu Finanzen und Bewaffnung
Neben der personellen Besetzung ging Manfred Sauer auch auf die finanzielle Ausstattung des MfS ein. Danach wurden für die Staatssicherheit 1989 insgesamt 3,6 Milliarden Mark aus dem Staatshaushalt der DDR bereitgestellt (=1,3 Prozent des gesamten Haushaltes). Darin seien Aufwendungen für den Personalbestand von 2,4 Milliarden Mark sowie für Bauinvestitionen, Technik, Ausrüstung, Energie und Treibstoff von 1,2 Milliarden Mark enthalten. An Valutamitteln für operative Aufgaben seien 1989 für das sozialistische Wirtschaftsgebiet 7,9 Millionen Mark und für das nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet 29,9 Millionen Valuta-Mark abgerechnet worden.
Darüber hinaus wurde aus dem Sauer-Bericht deutlich, dass das MfS praktisch eine geheime Bürgerkriegsarmee mit knapp 125.000 Pistolen, 77.000 Maschinengewehren und zahlreichen weiteren Waffen gewesen war. Diese Zahlen, durch die Rundfunkübertragung der Sitzung landesweit bekannt, stärkten noch einmal den Willen der Opposition, nun endlich auch die Stasi-Zentrale lahm zu legen.
Der damalige Bericht von Manfred Sauer vor dem Runden Tisch findet sich auf der Webseite der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen (BStU): Zwischenbericht der Regierung zur Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit vor dem zentralen Runden Tisch.
Quelle: BStU
(ENDE) geschichtspuls/11.01.2010/mar
Pingback: 15. Januar 1990: Erstürmung der Stasi-Zentrale in Berlin | GeschichtsPuls